Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

$1 Die Errichtung des Reiches. 13 
  
behufs Feststellung einer Verfassung vereinbarten, bedurfte man jetzt dieses 
vorbereitenden Stadiums nicht, sondern konnte auf Grundlage der Nord- 
deutschen Bundesverfassung die Verfassung des erweiterten Bundes entwerfen. 
Das Rechtsverhältnis zwischen dem Norddeutschen Bunde und den süddeut- 
schen Staaten war nach Abschluss der November-Verträge ganz analog dem 
Rechtsverhältnisse, welches unter den norddeutschen Staaten seit dem 
16. April 1867 d. h. seit Vereinbarung des Verfassungsentwurfs, aber vor dem 
1. Juli 1867 bestanden hat!). Die Verträge wurden dem Norddeutschen 
Reichstage und den süddeutschen Volksvertretungen zur Genehmigung vor- 
gelegt, und, nachdem dieselbe nach einigen Abänderungen des ursprünglichen 
Wortlautes überall in verfassungsmässiger Weise ihnen erteilt worden war, 
wurden sie in den betreffenden Gesetzblättern publiziert. Diese Publikationen 
haben dieselbe Bedeutung wie die landesgesetzlichen Publikationen der Nord- 
deutschen Bundesverfassung im Juni 1867. Die Gründung des Reiches erfolgte 
der in den Novemberverträgen getroffenen Abrede gemäss, am 1. Januar 18712). 
Eine Verschiedenheit besteht zwischen der Gründung des Norddeutschen 
Bundes und derjenigen des Deutschen Reiches jedoch insofern, als jene eine 
völlige Neuschöpfung, diese dagegen eine Reform des Norddeutschen Bundes, 
eine in der Verfassung des letzteren selbst vorhergesehene Erweiterung und 
Umbildung desselben war, so dass zwischen dem Norddeutschen Bunde und 
dem Reiche Rechtskontinuität besteht?). Daher hat die Geneh- 
migung der Versailler Verträge seitens des Norddeutschen Reichstages und die 
Publikation derselben im Bundesgesetzblatt auch nicht ganz dieselbe Bedeu- 
tung, wie der entsprechende Vorgang in den süddeutschen Staaten. Denn es 
sollte nicht nur der Bund erweitert, sondern zugleich auch die Rechtsordnung, 
welche unter den bisherigen Mitgliedern bestanden hatte, erheblich verändert 
werden z. B. durch Erweiterung der Bundeskompetenz auf Vereins- und 
Presswesen, durch Erschwerung der Erfordernisse für Verfassungsänderungen 
usw. Die Abänderung der bestehenden Bundesverfassung war die Bedingung 
der Erweiterung des Bundes ‘). 
1) A.M. Meyerin Hirths Annalen 1876. S. 659 und Staatsrecht $ 67. 
2) Die bayrische Landesvertretung genehmigte den Vertrag erst am 21. Januar 
1871, und die Ratifikationen desselben wurden erst am. 29. Januar 1871 ausgetauscht; 
der Vertrag selbst aber enthält die ausdrückliche Bestimmung, dass er am 1. Januar 
1871 in Wirksamkeit treten soll, und diese Bestimmung wurde mitge- 
nehmigt. Auch Bayern trat demnach dem Reich am 1. Januar 1871 bei, allerdings 
unter der juris conditio der nachfolgenden Zustimmung des bayrischen Landtages. Ueber 
die von den sogen. „Patrioten‘‘ verursachten Schwierigkeiten und Verzögerungen siehe 
Busch 8. 105 ff. 
3) Dies ist die fast einstimmige Ansicht aller Schriftsteller über das Reichsstaatsrecht. 
Vgl. Meyer, $ 67. Note 7. Hänel, Staatsrecht I. S. 49 fg. Anderer Ansicht 
Seydel Komment. $S. 30. in konsequenter Durchführung der Anschauung, dass das 
Reich ein völkerrechtiches Verhältnis sei. Zorn I. 54 fg. behauptet, dass das Reich 
nicht Rechtsnachfolger des norddeutschen Bundes geworden sei, weil es nicht aus den- 
selben Staaten wie dieser bestehe, sondern als eine völlig neue Staatsgewalt anzusehen 
sei. Die Unhaltbarkeit dieser Behauptung ist bereits von Jellineka.a. O. S. 273 ff. 
dargetan worden, der mit Recht darauf hinweist, dass der Satz Zorns in Anwen- 
dung auf die Nordamerikanische Union, ‚die bei dem Inkrafttreten ihrer Verfassung 11 
und heut 33 Staaten zählt, zur Folge hätte, dass sie der 28ste Bundesstaat wäre, den 
die Amerikaner in den letzten 70 Jahren gegründet haben‘. 
4) Das rechtliche Interesse, welches Oesterreichan der Vereinigung der süd-
	        
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