Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

202 Sechster Abschnitt: Das Reichsland und die Schutzgebiete. $ 25 
  
  
Traditionen der bureaukratischen Verwaltung und den sie beherrschenden 
Vorstellungen von den Aufgaben der Staatsgewalt. In denjenigen Schutz- 
gebieten, in welchen ursprünglich die Ausübung von Hoheitsrechten Kolonial- 
gesellschaften übertragen war, wurde sie vom Reich übernommen, und in 
denjenigen Gebieten, in welchen den Häuptlingen Hoheitsrechte zugestanden 
worden sind, wurde deren Ausübung der Regelung und Beaufsichtigung 
durch das Reich unterworfen. Es herrscht daher jetzt allgemeine Ueberein- 
stimmung darüber, dass die Schutzgewalt nicht nur eine souveräne, sondern 
auch inhaltlich volle Staatsgewalt ist. Dessenungeachtet besteht in dieser 
Hinsicht unter den einzelnen Schutzgebieten eine Verschiedenheit. In den 
Schutzgebieten von Ostafrika, den Marschall-, Brown- und Providence- 
Inseln, von Neu-Guinea und den ehemals spanischen Inseln der Karolinen, 
Palau und Marianen ist das Reich der alleinige Träger aller Ho- 
heitsrechte. Dasselbe gilt tatsächlich von Kiautschou; denn wenngleich 
es dem Deutschen Reich nur ‚„pachtweise‘“ übertragen worden ist, go stehen 
dem Reich doch alle Rechte der Staatsgewalt zur Ausübung zu und China 
hat nur ein eventuelles Heimfallsrecht. Dagegen liegen die Verhältnisse 
in Südwestafrika, Kamerun und Togo und in den Samoainseln etwas anders. 
Bei Errichtung der Schutzherrschaft wurden zwischen dem Kaiser und den 
einheimischen Häuptlingen Verträge abgeschlossen, durch welche den letz- 
teren der Schutz des Reichs und die Fortdauer der von ihnen bisher aus- 
geübten Hoheitsrechte der Besteuerung und meistens auch der Gerichts- 
barkeit, sowie Schonung der bestehenden Sitten und Gebräuche und der 
Besitzrechte am Grund und Boden zugesichert wurden. Das Reich ver- 
nichtete also nicht die Herrschaftsrechte der Häuptlinge; es begnügte sich 
hinsichtlich der einheimischen Bevölkerung mit der Errichtung einer 
Oberherrschaft. Durch den Aufstand in Südwestafrika haben die dortigen 
Häuptlinge aber ihre Rechte verwirkt und die Verhältnisse haben sich dort 
in einer solchen Weise verändert, dass die Schutzgewalt zu einer intensiven 
Beherrschung gestaltet werden musste. Hinsichtlich Samoas, mit welchem 
das Deutsche Reich 1879 einen ‚Freundschaftsvertrag‘‘ abgeschlossen und 
es dadurch als völkerrechtlich gleichberechtigten Staat anerkannt hatte, 
ist durch die Samoaakte vom 14. Juni 1889 Art. I ausdrücklich die ‚„Neu- 
tralität und Unabhängigkeit von Samoa“, sowie das Recht der Eingeborenen, 
ihren Häuptling oder König zu wählen und ihre Regierungsformen in Ge- 
mässheit ihrer eigenen Gesetze und Gewohnheiten zu bestimmen, anerkannt 
worden, und durch die Auseinandersetzung unter den drei an dem Protek- 
torat beteiligten Mächte sind die innerstaatlichen Einrichtungen Samoas 
nicht beseitigt, ja zunächst nicht verändert worden !); tatsächlich sind 
diese Rechte über die einheimische Bevölkerung der souveränen Schutzge- 
1) Anderer Ansicht ist Köbner a. a. ©. S. 1085, welcher den Erwerb dieser 
Inseln als Okkupation charakterisiert und die Rechte der eingeborenen Häuptlinge 
als beseitigt ansieht. Dass die Herrschaft des Reichs über Samoa ‚souverän‘ ist, 
unterliegt keinem Zweifel; aber die ‚volle‘ Souveränetät, von welcher Köbner spricht, 
schliesst die untergeordneten Hoheitsrechte eines einheimischen ‚„Königs‘‘ nicht aus,
	        
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