g 26 Die auswärtigen Angelegenheiten. J. Gesandtschaften. 919
Rechtssätze nicht geregelt. Bei keinem Zweige der gesamten Staatsverwaltung
tritt die Freiheit derselben von gesetzlichen Vorschriften deutlicher vor Augen
als bei der Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten; je weniger aber
das Gesetz die Tätigkeit der Gesandten regelt, desto bedeutungsvoller
wird die Leitung dieser Tätigkeit durch die vorgesetzte Behörde, also
durch den Reichskanzler; die strenge Ordnunginnerhalb.des Verwaltungs-
Apparates ist das Korrelat der Ungebundenheit dieser Verwaltung als Ganzes.
Aus diesem Grunde ist die treue, zuverlässige und vollständige Erfüllung der
Dienstpflicht und der Gehorsam gegen die Instruktionen und anderen dienst-
lichen Befehle der vorgesetzten Behörde in diesem Dienstzweige rechtlich
besonders geschützt. Zunächst können alle diplomatischen Agenten durch
kaiserliche Verfügung jederzeit mit Gewährung des gesetzlichen Wartegeldes
einstweilig in den Ruhestand versetzt werden!). Sodann aber trifft Gefängnis-
oder Geldstrafe bis zu 5000 M. einen mit einer auswärtigen Mission betrauten
oder bei einer solchen beschäftigten Beamten, welcher den ihm durch einen
Vorgesetzten amtlich erteilten Anweisungen vorsätzlich zuwider han-
delt, oder welcher inder Absicht, seinen Vorgesetzten in dessen anıt-
lichen Handlungen irre zu leiten, demselben erdichtete oder entstellte Tat-
sachen berichtet ?).. Für die Gesandten und anderen Missionschefs ist der
Reichskanzler oder der ihn vertretende Staatssekretär im Auswärtigen
Amte der ‚Vorgesetzte‘, für das übrige Gesandtschafts-Personal ist der
Missionschef der unmittelbare Vorgesetzte.
3. Die oberste Leitung des gesamten diplomatischen Dien-
stes der Gesandtschaften steht dem Kaiser ganz selbständig zu. Man
kann dieses Recht des Kaisers als den diplomatischen Oberbefehl dem ihm
gebührenden militärischen Oberbefehl an die Seite stellen. Dem Bundesrat
steht keinerlei Mitwirkung zu, weder bei der Ernennung und Abberufung
von Gesandten noch bei der Erteilung von Instruktionen an dieselben. Na-
mentlich hat der Bundesrats-Ausschuss für die auswärtigen Angelegenheiten
keinen Anteil an der Verwaltung (vgl. oben 8. 72)®). Der Reichskanzler ist
zum praktischen Ausdruck käme‘ ; dagegen hat der Begriffder Obrigkeit (die „über“
jemandem ist) den Begriff der Untertanenschaft zum logischen Korrelat, und
ihr Wesen besteht im Herrschen. Daher ist es m. E. vollkommen falsch, wenn
Zorn behauptet, „jede amtliche Tätigkeit sei Ausübung von Staatsgewalt‘‘ und ‚Alles,
was Gesandte als solche handeln, handeln sie obrigkeitlich, in Ausübung des
Imperium ihres Staates‘. Also wenn z. B. ein Gesandter für seine Regierung ein Kunst-
werk kauft, oder Erhebungen über das Kanalsystem oder die Organisation des Schul-
wesens im dienstlichen Auftrage macht, oder an das auswärtige Amt einen Bericht
erstattet, oder dem Souverän, bei welchem er beglaubigt ist, ein Geschenk des Kaisers
überreicht oder dgl., so übt er das „Imperium des Deutschen Reiches‘ aus?! Vgl.
auch oben 8. 101 Note 1 u. v. Ullmann 8. 177.
1) Reichsgesetz v. 31. März 1873 (18. Mai 1907) $ 25.
2) Reichsstrafgesetzb. $ 353 a Abs. 2 (Nov. v. 25. Febr. 1876). Von dem Tat-
bestande des Landesverrates unterscheidet sich dieses- Vergehen dadurch, das bei dem
Landesverrat die Absicht erforderlich ist, das Wohl des Deutschen Reiches zu gefährden
oder ein Staatsgeschäft zum Nachteil des Reiches zu führen (StrGB. $ 92), während
der $ 353 a nur den Vorsatz verlangt, dem amtlichen Befehle des Vorgesetzten zuwider
zu handeln, mag dies vielleicht auch in der Meinung geschehen, das Wohl des Reiches
dadurch zu fördern.
3) Nur soweit es sich um die Errichtung von neuen oder um die Einziehung von
bestehenden Gesandtschaften handelt, ist dem Bundesrate und dem Reichstage durch
das Budgetrecht indirekt eine Mitbestimmung gesichert.