$ 27 Die öffentlichen Verkehrsanstalten. A. Post- u. Telegraphenwesen. 233
Staates selbst, als der einzelnen Angehörigen desselben. Post und Tele-
graphie sind deshalb nicht einfache und gewöhnliche Handelsgewerbe, welche
schlechthin unter den Regeln des Privatrechts stehen, sondern sie sind öffent-
liche Verwaltungszweige, die nach Grundsätzen des öffentlichen Rechts zu
beurteilen sind !). Aber während der Staat durch Ausübung der Militär-,
Gerichts-, Polizei- und Finanzhoheit seine Angehörigen beherrscht,
dient er ihnen durch den Betrieb der Post und Telegraphie; er übt gegen
sie keinen Zwang aus; er fordert keine Leistungen oder Unterlassungen;
er tritt mit dem einzelnen Staatsuntertanen nur auf Wunsch und Willen
des letzteren in ein rechtliches Verhältnis; er begründet dasselbe durch
Vertrag, und zwar stets nur auf Antrag des einzelnen, der vom Staate
die Ausführung eines Transportes verlangt; niemals dagegen durch Befehl,
dem der Untertan auch wider oder ohne seinen Willen gehorchen müsste.
Bei allen von der Post- und Telegraphen-Anstalt zu verrichtenden
Leistungen steht deshalb der Staat dem einzelnen nicht als übergeordneter
Herr, sondern als gleichberechtigter Kontrahent gegenüber. Das allgemeine
Privat- und Prozessrecht findet daher auf das Verhältnis zwischen der Post-
und Telegraphen-Anstalt und dem Publikum Anwendung. In sehr vielen
Beziehungen aber besteht für den Betrieb der Post- und Telegraphen-Anstalt
ein Spezialrecht, durch welches die Verwaltung dieser Anstalten teils mit
Rechten ausgestattet wird, wie sie der ein Handelsgewerbe betreibende
Private nicht hat, teils ihr Pflichten auferlegt werden, von denen Transport-
Unternehmer im allgemeinen frei sind. Der Grund dieser besonderen Rechts-
vorschriften ist darin zu finden, dass Post- und Telegraphie kein freies
Gewerbe des Fiskus, sondern öffentliche Verkehrs-Anstalten des
Staates sind. Daraus leiten sich folgende Sätze ab:
l. Die Benutzung der Post- und Telegraphen-
Anstalt steht jedem frei; sie darf niemandem verweigert werden,
der sich den allgemeinen Vorschriften für Benutzung derselben unterwirft,
und darf für niemanden an erschwerende Bedingungen geknüpft werden. Das
ist der Kardinalunterschied zwischen einem gewöhnlichen Transport-Unter-
nehmer, der mit niemandem zu kontrahieren genötigt ist, mit dem er nicht
kontrahieren will, und den Öffentlichen Verkehrs-Anstalten, welche zum
Dienste des Publikums bestimmt sind. Der Umfang des Geschäfts-
betriebes der Post istgesetzlich nicht fixiert. Es gibt kein mit dem allge-
meinen Zweck der Postanstalt, nämlich Beförderung und Erleichterung des
Verkehrs, in Zusammenhang stehendes Geschäft, dessen Betrieb der Post ge-
setzlich verwehrt wäre ; andererseits ist die Post keineswegs gesetzlich verpflich-
tet, alle diejenigen Geschäfte, denen sie sich tatsächlich unterzieht, zu betrei-
ben. Nur soweit der Postzwang (siehe unten) besteht, ist die Post ver-
pflichtet ,dasihr beigelegte Monopol auch wirklich auszuüben, denn diese
Pflicht ist das selbstverständliche und notwendige Korrelat des Rechts auf aus-
schliesslichen Gewerbebetrieb. Für einige andere Leistungen ist ferner die
1) Vgl. das Urt. des Reichsgerichts v. 16. April 1910 (Entsch. in Zivils. Bd. 73
S. 270 fg.