Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

Ss 27 Die öffentlichen Verkehrsanstalten. A. Post- u. Telegraphenwesen. 
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will; sie ist nirgends dazu verpflichtet und es ist ihr dies an keinem Orte 
verwehrt. 
2. Aus dem dargelegten Grundsatz ergibt sich als notwendige Konse- 
quenz, dass die Vertragsbedingungen, unter welchen die Post- und Tele- 
graphen-Anstalt kontrahiert, ein- für allemal feststehen und in allen Fällen 
gleichmässig zur Anwendung kommen müssen. Für alle Verträge, welche die 
Post- und Telegraphen-Verwaltung in Ausübung ihres öffentlichen Geschäfts- 
betriebes abschliesst !), müssen Normal-Bedingungen festgestellt sein, von 
denen sie bei den einzelnen Geschäften weder zugunsten noch zuungunsten 
des andern Kontrahenten abweichen darf. Die Aufstellung dieser allgemeinen 
Normativ-Bestimmungen ist, wie oben S. 155 ausgeführt wurde, ein Ver- 
waltungsakt. Der Regel nach wird also die Regierung diese Bedingungen 
in der Form des Verwaltungsaktes (Verordnung, Reglement, Instruktion, 
Generalverfügung) erlassen können. Bei der grossen Bedeutung dieser An- 
ordnungen für den Verkehr, die Volkswohlfahrt und die Staatsfinanzen ist 
es aber erklärlich, dass man die wichtigsten Bestimmungen unter Zustimmung 
der Volksvertretung, d.h. durch Gesetz erlässt. Soweit dies der Fall 
ist, hat dies eine dreifache Wirkung. Erstens bildet das jus cogens keine 
Schranke, es kann durch ein Spezialgesetz für die Geschäfte der Post beseitigt 
werden. Zweitens ist die Freiheit der Verwaltung in der Normierung der 
Bedingungen ausgeschlossen, soweit die im Wege des Gesetzes erlassenen 
Vorschriften reichen. Drittens haben diese Vorschriften die Natur von 
Rechtsnormen, sie bilden ein Spezialrecht für die Geschäfte der Post. Die- 
jenigen Bedingungen dagegen, deren Feststellung der Verwaltung überlassen 
ist, dürfen nicht gegen das jus cogens verstossen, sie können im Wege der 
Verordnung abgeändert werden und sie haben den Charakter von Ver- 
tragsnormen. Das Reichspostgesetz $ 50 Abs. 2 hat dies anerkannt, 
indem es bestimmt: ‚Diese Vorschriften (nämlich das von dem Reichs- 
kanzler zu erlassende Reglement) gelten als Bestandteilldes Vertrages 
zwischen der Postanstalt und dem Absender, bezw. Reisenden‘ ?). Derselbe 
Satz findet auch auf die Telegraphen-Ordnung Anwendung; sie ist, soweit 
sie die interne Korrespondenz im Gebiete der Reichstelegraphen-Verwaltung 
betrifft, in allen Beziehungen dem Postreglement gleich zu stellen. 
Die Abgrenzung derjenigen Bestimmungen, welche in der Form des Ge- 
setzes zu erlassen sind, von denjenigen, die durch Verwaltungsakte getroffen 
werden können, ist nicht prinzipiell zu gewinnen, sondern nach finanziellen, 
politischen, technischen und anderen Erwägungen. Nach Art. 50 Abs. 2 der 
RV. steht dem Kaiser der Erlass der reglementarischen Festsetzungen 
zu; das Postgesetz v. 28. Okt. 1871 $ 50 überträgt aber den Erlass des Regle- 
1) Im Gegensatz hierzu stehen die Hilfsgeschäfte zum. Betriebe des Transport- 
unternehmens, z. B. die Anschaffung und Veräusserung von Gebäuden, Wagen, Pferden, 
Schreibinaterial u. dgl. 
2) Das Reichsgericht hat allerdings in wiederholten Entscheidungen die Ansicht 
ausgesprochen, dass die Bestimmungen der Postordnung sowohl Vertragsfestset- 
zungen als auch Rechtsnormen seien, und daraus die Folgerungen gezogen, dass sie gesetz- 
lichen Vorschriften derogieren und revisibel sind. Vgl. namentl. die Entsch. in Zivils. 
Bd. 19 S. 104 und Bd. 70 S. 316.
	        
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