Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

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Siebenter Abschnitt: Die einzelnen Zweige der Verwaltung. $ 83 
  
strassen im Interesse der Landesverteidigung und des allgemeinen Verkehrs. 
RV. Art. 4 Ziff. 8. Hiervon hat das Reich Gebrauch gemacht durch Her- 
stellung des Nordostseekanals. RG. v. 16. März 1886 (RGBl. 8. 58) u. V. v. 
17. Juli 1886 (S. 233). 
$ 33. Die Medizinal- und Veterinärpolizei. Die Zuständigkeit des Reichs 
zur Gesetzgebung und Beaufsichtigung erstreckt sich nach Art. 4 Ziff. 15 der 
RV. auf ‚„Massregeln der Medizinal- und Veterinärpolizei“. Die Bearbeitung 
dieser Angelegenheiten gehört zum Geschäftsbereich des Reichsamtes des 
Innern; technische Fragen werden vom Gesundheitsamt bearbeitet. 
1. Die Medizinalpolizeit). Die Rücksicht auf die Verhütung 
oder Beseitigung von Krankheiten ist ein Gesichtspunkt, welcher sich durch die 
gesamte Gesetzgebung des Reichs hindurchzieht und für fast alle Verwal- 
tungen in grösserem oder geringerem Grade Bedeutung hat; eine allgemeine 
Zuständigkeit des Reichs zur Gesetzgebung und Beaufsichtigung von Mass- 
regeln der Gesundheitspflege würde daher fast alle Verwaltungen und Ein- 
richtungen der Einzelstaaten unter diesem Gesichtspunkt der Einwirkung der 
Reichsorgane unterwerfen. Der Begriff der Medizinalpolizei im Sinne des 
Art. 4 der RV. mıuss daher viel enger begrenzt werden; es sind darunter nur 
solche Massregeln zu verstehen, welche ausschliesslich dem Zweck 
dienen, den Ausbruch oder die Verbreitung von Krankheiten zu verhüten 
und welche nicht einen Teil einer anderen staatlichen Gesetzgebung oder 
Einrichtung bilden. Es scheiden daher aus die Vorschriften der Gewerbeord- 
nung, der Versicherungsgesetze, der Seemannsordnung, des Strafgesetzbuchs 
usw. Auf dem Gebiet der Medizinalpolizei im engeren und eigentlichen Sinne 
hat sich das Reich bisher eine grosse Selbstbeschränkung auferlegt und die 
Selbstverwaltung der Einzelstaaten völlig unberührt gelassen. Da- 
gegen hat das Reich einige gesetzliche Vorschriften erlassen und 
mehrere Staatsverträge abgeschlossen. 
1. Das Impfgesetz vom 8. April 1874 (RGBl. S. 31) ?) führt den 
Impfzwang ein. Jedes Kind soll in der Regel zweimal, im ersten und im 
zwölften Lebensjahr, geimpft werden. Verantwortlich für die Vornahme der 
Impfungen und die Beibringung der Impfscheine sind die Eltern, Pflege- 
eltern, Vormünder und die Vorsteher derjenigen Schulen, deren Zöglinge 
impfpflichtig sind. Ausser den Impfärzten sind ausschliesslich approbierte 
Aerzte befugt, Impfungen vorzunehmen ?). Die Einzelstaaten sind verpflichtet, 
Impfbezirke zu bilden, öffentliche Impfärzte zu bestellen, Impfinstitute zur 
Beschaffung und Erzeugung von Schutzpockenlymphe einzurichten, von 
denen die Lymphe an die öffentlichen Impfärzte unentgeltlich abzugeben 
1) Wiener, JITandb. der Medizinalgesetzgebung des D. Reichs und seiner Einzel- 
staaten, 2 Bde., Stuttg. 1883 ff. Guttstadt, Deutschlands Gesundheitswesen, 
2 Bde., Leipz. 1896; Pistor, Das Gesundheitswesen in Preussen nach dem Reichs- 
und Landesrecht. Berlin 1890. Meyer-Dochow $ 75ff. 
2) Ausgaben des Gesetzes mit Erläuterungen von Kranz u Weber (Nördl. 
1875): Jacobi (Berl. 1875); Bach (Dresd. 1888); Martini (Teipz. 1894) und na- 
mentlich Rapmund (Berl. 1889). Vel. ferner Jolly in v. Stengels Wörterb. I 
S. 6070ff. Stenglein, Strafr. Nebengesetze 8. 219 ff. 
3) Wer unbefugt Impfungen vornimmt, wird mit Geldstrafe bis zu 150 Mk. oder 
init Iaft bis zu lt Tagen bestraft (Impfges. $ 16).
	        
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