302 Siebenter Abschnitt: Die einzelnen Zweige der Verwaltung. gs 34
-—_--- ._ oo... —_ -—— —--. —— — I ihn - nu E——— nn
ein Zusammenhang. Der Tatbestand, auf welchem die Beitragspflicht be-
ruht, und der Tatbestand, durch welchen die Unterstützungspflicht des
Versicherungsträgers begründet wird, haben das Vorhandensein einer und
derselben individuell-bestimmten, versicherungspflichtigen
Person zum gemeinsamen Merkmal).
2. Die Versicherungspflicht ist hiernach der Angelpunkt
les Rechtsverhältnisses. Sie bezeichnet nicht die Pflicht jemandes, sich oder
einen anderen zu versichern, und ebensowenig die Pflicht, eine Fürsorge zu
gewähren, sondern sie bedeutet einen rechtlich normierten Zustand,
aus welchem bo'm Eintritt einer Erkrankung, eines Unfalls oder der Invalidität
Ansprüche auf Vermögensleistungen ipso iure hervorgehen. Ihr entspricht
regelmässig eine Pflicht des Versorgungsberechtigten oder eines Dritten
(Arbeitsgeber usw.) oder beider zugleich zur Zahlung von Beiträgen an den
Träger der Versicherungspflicht ?).
3. Der Versicherungszwang ist die rechtliche Verpflichtung
und staatliche Nötigung zu denjenigen Leistungen, welche zur tatsächlichen
Durchführung der Fürsorge gesetzlich erfordert sind. Er schliesst daher die
Zahlungspflicht in sich; aber er ist nicht auf dieselbe beschränkt, sondern er
enthält noch andere Verpflichtungen, insbesondere die Anmeldepflicht, die
Pflicht zur Führung genossenschaftlicher Aemter usw. Der Versicherungs-
zwang beruht entweder unmittelbar auf dem Befehl des Reichs (Reichs-
gesetz oder Verordnung des Bundesrats) oder mittelbar auf Reichsgesetz,
d. h. auf einem kraft reichsgesetzlicher Delegation ergargenen Beschluss der
Gemeinden oder Kommunalverbände, Berufsgenossenschaften, Dienstbe-
hörden. Oder er beruht auf einer landesgesetzlicben Vorschrift,
sei e3, dass dieselbe reichsgesetzlich vorbehalten ist, sei es, dass sie sich auf
Personenklassen bezieht, auf welche sich die Reichsgesetzgebung überhaupt
nicht erstreckt.
4. Ausser den versicherungspflichtigen Personen kennt die Reichsgesetz-
gebung auch versicherungsberechtigte; dieselben können den
1) Die Auffassung der Arbeiterversicherung ist streitig; die hier vertretene darf
wohl als die herrschende bezeichnet werden. Sie ist ausführlich begründet worden in
meinem Staatsrecht d.D. R. III S. 262 ff., von Pröbst in Hirths Annalen 1888
8.324 ff., Rehm im Arch. f. öffentl. R. Bd. V. S. 529 ff. und besonders von RosinlI
S.255 ff. und in der Festschrift für mich Bd.II S. 43—134 unter eingehenderWiderlegung
der geltend gemachten Einwendungen. Vgl.auchSeydelBd.38.143u. Jellinek,
System der subj. öffentl. Rechte S. 268. Für den Versicherungscharakter
der Arbeiterversorgung haben sich u. a. erklärt Köhne in der Zeitschr. f. HR. Bd. 37
S.67 ff., G.Meyer, Verw.R. 2. Aufl. $ 184 und namentlich Pilot y, Unfallversiche-
rung I S. 163 ff. IL S. 490 ff. Der letztere Schriftsteller erkennt die Elemente, aus denen
das Rechtsinstitut zusammengesetzt ist, ganz richtig; er findet aber, dass ‚eine Ver-
sicherung auch dann anzunehmen sei, wenn einer Gesamtheit von Leistungs-
verbindlichkeiten eine Gesamtheit der derselben Einrichtung zugehörigen Bei-
tragsverbindlichkeiten je als ein Ganzes gegenübersteht‘“. Bei dieser Auffassung ver-
flacht sich der Streit, ob die Arbeiterversorgung eine „Versicherung“ sei oder nicht, zu
einem Wortstreit. Eine ausführliche Darstellung der Kontroverse gibt WeylS. 877 ff.
Vgl. auch Lass Enzykl. S. 707. Kaskel-Sitzler 8. 32 ff. die dort gegebene Be-
grilfsbestimmung als „Entschädigung bestimmter sozialer Bevölkerungsklassen‘“ ist
nieht zutreffend, da die Leistungen der Kassen ete. in keinem Falle durch den einge-
tretenen „Schaden“ bestimmt werden.
2) Eine vereinzelte Ausnahme RVO. $ 1012.