Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

$ 35 Die Gerichtsbarkeit. 391 
  
richtsbarkeit zur Zeit noch der Autonomie der Einzelstaaten überlassen ist }). 
dass sonachdas VerhältnisderEinzelstaaten zum Reich 
auf diesen beiden Gebieten ein wesentlich verschiedenes ist. 
Das GerichtsverfGes. hat im Art. 12 diejenigen Gerichte aufgezählt. 
durch welche die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit ausgeübt wird und hat 
im Art. 13 die Zuständigkeit dieser Gerichte dadurch normiert, dass es ihnen 
alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Straf- 
sachen zuweist, welche ihnen nicht entzogen sind, sei es durch gänzliche 
Versagung des Rechtsweges, sei es durch Errichtung besonderer Gerichte. 
Hiernach lässt sich aus der Reichsgesetzgebung die formale Definition gewin- 
nen: „Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit umfasst diejenigen bürgerlichen 
Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen, welche vor die im Art. 12 des Gerichts- 
verfassungsgesetzes aufgezählten (sogen. ‚ordentlichen‘‘) Gerichte gehören“. 
Im Art. 2 des Einführungsges. zum GerichtsverfGes. und im $ 3 der Einf.- 
Ges. zur Zivilprozessordnung und zur Strafprozessordnung ist bestimnit, dass 
diese Gesetze nur auf die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit und deren 
Ausübung, d. h. auf diejenigen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Straf- 
sachen, welche vor dieordentlichen Gerichte gehören, Anwendung 
finden. 
Der Begriff der „bürgerlichen“ Rechtsstreitigkeit wird in der 
Reichsgesetzgebung nirgends definiert; den Gegensatz zu ihr bildet die Strei- 
tigkeit des öffentlichen Rechts. Die Abgrenzung des Privatrechts von 
dem öffentlichen Rechte ist die Grundlage für den Gegensatz der bürgerlichen 
und der nicht bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Diese Abgrenzung ist nicht 
a priori zu finden, sondern sie ist bedingt von dem in dem positiven Recht 
festgestellten Umfange und der Art der Geltendmachung der staatlichen 
Hoheitsrechte auf den verschiedenen Zweigen der staatlichen Tätigkeit. Für 
einen Teil dieser Tätigkeit hat das Reich durch seine Gesetze die Grenzen 
bezeichnet, bis zu denen sich das öffentliche Recht erstreckt; insoweit 
dient die Gesamtheit der Reichsgesetzgebung negativ zur Feststellung 
des Begriffes der bürgerlichen Rechtssache; das Reich hat andererseits auch 
positiv durch eine sehr umfangreiche Privatrechtsgesetzgebung einen 
Kreis von Rechtsverhältnissen fixiert, welche ‚‚bürgerlich‘‘ sind. Im übrigen 
aber ist es den Einzelstaaten und ihrer Gesetzgebung überlassen, diejenigen 
Rechtsverhältnisse, welche als öffentliche zu erachten und deshalb der Rechts- 
sphäre der Individuen entrückt sind, zu bestimmen. Der Begriff der Straf- 
sachen, der dem Begriff der öffentlichen Rechtsstreitigkeiten untergeord- 
net ist, beruht auf dem Gegensatz des Strafrechts gegenüber der Admini- 
strativ- und Disziplinarzwangsgewalt und den zur Durchführung derselben 
gegebenen Mitteln. Eine Rechtssache, bei welcher nicht die Anwendung 
eines Strafgesetzes in Frage steht und das Endziel des Verfahrens bildet, ist 
1) Durch die Grundbuchordnung und durch das Reichsgesetz über die freiwillige 
Gerichtsbarkeit hat diese Autonomie allerdings eine erhebliche Einschränkung erfahren: 
ebenso durch einzelne Teile des bürgerl. Gesetzbuchs, insbesondere das Vormund- 
schaftsrecht, sowie durch die Reichsversicherungsgesetze.
	        
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