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5. Die Rechtsanwaltschaft!). Die Prozessordnungen des
Reiches setzen die Teilnahme von Rechtsanwälten an der Führung der Pro-
zesse voraus. Nur unter dieser Annahme sind die Vorschriften der Prozess-
ordnungen durchführbar; die staatliche Aufgabe der Handhabung des Rechts-
schutzes soll und kann nach Massgabe des bestehenden Rechts nur unter Mit-
wirkung von Rechtsanwälten realisiert werden; die berufsmässige Tätigkeit
der Rechtsanwälte ist demnach ein durch die staatliche Rechtsordnung selbst
erforderter Faktor der Rechtspflege, und man kann daher die Rechtsanwalt-
schaft in derselben Weise wie die Staatsanwaltschaft als eine Institution an-
sehen, welche einen Bestandteil der Gerichtsverfassung im weiteren Sinne bil-
det. Der Rechtsanwalt hat demnach ein öffentliches A m t und er ist doch
kein Beamter, denn er versieht sein Amt nichtkrafteinerDienstpflicht,
sondern er macht aus der Uebernahme des Amtes ein Gewerbe?) Den-
entsprechend ist die Rechtsanwaltschaft von der Reichsgesetzgebung in einer
Weise geordnet, die zum Teil dem Amtscharakter der Rechtsanwaltschaft und
den demselben entsprechenden Hoheitsrechten der Einzelstaaten, zum Teil
der Freiheit des Gewerbebetriebes Rechnung trägt ?).
$ 37. Der Gerichtsdienst. Die öffentlich-rechtliche Pflicht zur Ueber-
nahme und Führung gerichtlicher Geschäfte kann ebenso wie die militärische
Dienstpflicht auf zwei verschiedenen Rechtsgründen beruhen, entweder auf
einem staatlichen Zwang d.h. auf einer gesetzlichen Anordnung,
welche der Untertan befolgen muss, ohne dass es auf seine Einwilligung
hierzu ankommt, oder auf einem öffentlich-rechtlichen zweiseitigen Rechts-
geschäft, durch welches der Untertanfreiwillig zur Führung gericht-
licher Amtsgeschäfte sich verpflichtet. Aber auch die freiwillige Uebernahnie
von Gerichtsgeschäften kann wieder in doppelter Weise erfolgen; entweder
nämlich durch EintrittindenberufsmässigenStaatsdienst, wo-
durch sich der Beamte dem Landesherrn zur Leistung staatlicher Arbeit ver-
pflichtet und sich ihm behufs Uebernahme eines Amtes zur Verfügung stellt,
oder ohne Begründung eines Staatsdienstverhältnisses durch unentgeltliche
Uebernahme einer richterlichen Stellung in der Gestalt dsEhrenamtes.
Hiernach sind in staatsrechtlicher Hinsicht drei Arten von Gerichtsdien-
sten zu unterscheiden, der gesetzliche Gerichtsdienst der Schöffen
und Geschworenen und der Beisitzer der Gewerbe- und Kaufmannsgerichte,
der Gerichte für die Reichsversicherung, Konsulargerichte und Schutz-
gebietsgerichte, der berufsmässige Dienst der Justizbeamten und
der Ehrendienst der Handelsrichter.
1. DergesetzlicheGerichtsdienst. DiePflicht zum Dienst
als Schöffe und Geschworener entspricht, trotz aller Verschiedenheit in betreff
1) Rechtsanwaltsordnung v. ]. Juli 1878 (RGBl. S. 177), abgeändert
durch das Reichsges. v. 22. Mai 1910 (RGBl. S. 386), Gebührenordnung
für Rechtsanwälte v. 7. Juli 1897 (RGBl. S. 176), abgeändert durch das Ges. v. 1. Juni
1908 Art. IV (RGBl. S. 495). Ad. Weiszler, Geschichte der Rechtsanwaltschaft.
Leipz. 1005.
2) Vgl. oben S. 101 fg. Entsch. des Reichsger. in Zivils. Bd. 55 8. 167 ff.
3) Vgl. über die einzelnen Bestimmungen der RAO. mein Staatsr. d. D. R. Bd. III
S. 425 ft.