Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

$ 37 Der Gerichtsdienst. 347 
5. Die Rechtsanwaltschaft!). Die Prozessordnungen des 
Reiches setzen die Teilnahme von Rechtsanwälten an der Führung der Pro- 
zesse voraus. Nur unter dieser Annahme sind die Vorschriften der Prozess- 
ordnungen durchführbar; die staatliche Aufgabe der Handhabung des Rechts- 
schutzes soll und kann nach Massgabe des bestehenden Rechts nur unter Mit- 
wirkung von Rechtsanwälten realisiert werden; die berufsmässige Tätigkeit 
der Rechtsanwälte ist demnach ein durch die staatliche Rechtsordnung selbst 
erforderter Faktor der Rechtspflege, und man kann daher die Rechtsanwalt- 
schaft in derselben Weise wie die Staatsanwaltschaft als eine Institution an- 
sehen, welche einen Bestandteil der Gerichtsverfassung im weiteren Sinne bil- 
det. Der Rechtsanwalt hat demnach ein öffentliches A m t und er ist doch 
kein Beamter, denn er versieht sein Amt nichtkrafteinerDienstpflicht, 
sondern er macht aus der Uebernahme des Amtes ein Gewerbe?) Den- 
entsprechend ist die Rechtsanwaltschaft von der Reichsgesetzgebung in einer 
Weise geordnet, die zum Teil dem Amtscharakter der Rechtsanwaltschaft und 
den demselben entsprechenden Hoheitsrechten der Einzelstaaten, zum Teil 
der Freiheit des Gewerbebetriebes Rechnung trägt ?). 
$ 37. Der Gerichtsdienst. Die öffentlich-rechtliche Pflicht zur Ueber- 
nahme und Führung gerichtlicher Geschäfte kann ebenso wie die militärische 
Dienstpflicht auf zwei verschiedenen Rechtsgründen beruhen, entweder auf 
einem staatlichen Zwang d.h. auf einer gesetzlichen Anordnung, 
welche der Untertan befolgen muss, ohne dass es auf seine Einwilligung 
hierzu ankommt, oder auf einem öffentlich-rechtlichen zweiseitigen Rechts- 
geschäft, durch welches der Untertanfreiwillig zur Führung gericht- 
licher Amtsgeschäfte sich verpflichtet. Aber auch die freiwillige Uebernahnie 
von Gerichtsgeschäften kann wieder in doppelter Weise erfolgen; entweder 
nämlich durch EintrittindenberufsmässigenStaatsdienst, wo- 
durch sich der Beamte dem Landesherrn zur Leistung staatlicher Arbeit ver- 
pflichtet und sich ihm behufs Uebernahme eines Amtes zur Verfügung stellt, 
oder ohne Begründung eines Staatsdienstverhältnisses durch unentgeltliche 
Uebernahme einer richterlichen Stellung in der Gestalt dsEhrenamtes. 
Hiernach sind in staatsrechtlicher Hinsicht drei Arten von Gerichtsdien- 
sten zu unterscheiden, der gesetzliche Gerichtsdienst der Schöffen 
und Geschworenen und der Beisitzer der Gewerbe- und Kaufmannsgerichte, 
der Gerichte für die Reichsversicherung, Konsulargerichte und Schutz- 
gebietsgerichte, der berufsmässige Dienst der Justizbeamten und 
der Ehrendienst der Handelsrichter. 
1. DergesetzlicheGerichtsdienst. DiePflicht zum Dienst 
als Schöffe und Geschworener entspricht, trotz aller Verschiedenheit in betreff 
  
  
1) Rechtsanwaltsordnung v. ]. Juli 1878 (RGBl. S. 177), abgeändert 
durch das Reichsges. v. 22. Mai 1910 (RGBl. S. 386), Gebührenordnung 
für Rechtsanwälte v. 7. Juli 1897 (RGBl. S. 176), abgeändert durch das Ges. v. 1. Juni 
1908 Art. IV (RGBl. S. 495). Ad. Weiszler, Geschichte der Rechtsanwaltschaft. 
Leipz. 1005. 
2) Vgl. oben S. 101 fg. Entsch. des Reichsger. in Zivils. Bd. 55 8. 167 ff. 
3) Vgl. über die einzelnen Bestimmungen der RAO. mein Staatsr. d. D. R. Bd. III 
S. 425 ft.
	        
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