348 Achter Abschnitt: Das Gerichtswesen. g 38
ihres Inhaltes und ihrer tatsächlichen Verwirklichung, sowohl ihrem Rechts-
grunde als ihrer juristischen Gestaltung nach der allgemeinen Wehrpflicht.
Die allgemeine Gerichtspflicht ist die staatsbürgerliche Verpflichtung zur
Dienstleistung in den Gerichten des Staates. Der Dienst besteht in der Teil-
nahme an der Urteilsfindung und Beschlussfassung und an den hierzu erfor-
derlichen gerichtlichen Verhandlungen und Geschäften. Ein solcher Dienst
wird vom Staat gegenwärtig hauptsächlich in Anspruch genommen bei der
Strafrechtspflege !), und auch hier nur bei den Schöffengerichten und bei den
Schwurgerichten. Die Gerichtspflicht ist eine Untertanenpflicht; der Aus-
länder ist ihr nicht unterworfen; er ist nicht nur vom Gerichtsdienst frei,
sondern auch gesetzlich zur Wahrnehmung der Funktionen eines Schöffen
oder Geschworenen für unfähig erklärt. Sowie nun aber im Deutschen
Reich die Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten sich auf das ganze Reichs-
gebiet erstreckt und in letzter Instanz in der Gerichtsbarkeit des Reichs zu-
samımengefasst ist, so kommt auch bei Leistung der Gerichtspflicht nicht die
Staatsangehörigkeit, sondern die Reichsangehörigkeit in Betracht. Jeder
Deutsche ist verpflichtet, der Einberufung zum Schöffen- oder Geschwo-
renendienst bei dem Gericht, in dessen Bezirk er seinen Wohnsitz hat, Folge
zu leisten, gleichviel ob er dem betreffenden Bundesstaat angehört oder nicht,
sowie auch die Wehrpflicht am Ort des dauernden Aufenthalts zu erfüllen
ist. Die Gerichtspflicht ist eine allgemeine Untertanenpflicht, von wel-
cher es keine anderen Befreiungsgründe gibt als die im Gesetz anerkannten.
Mit Rücksicht auf die Natur der zu leistenden Dienste und wegen des geringen
Unifanges, in welchem die gesetzlichen Dienste zur Verwendung kommen,
ist aber der Kreis der Personen, von denen dieselben wirklich verlangt werden,
durch Rechtssätze erheblich beschränkt 2). Behufs Geltendmachung der
Dienstpflicht werden, in ähnlicher Weise wie bei der Wehrpflicht, Urlisten
und Dienstlisten aufgestellt und die zum aktiven Gerichtsdienst ausgeho-
benen Personen einberufen. Der Dienst der Schöffen und Geschworenen be-
steht in der Wahrnehmung eines richterlichen Amtes). Schöffen und Ge-
schworene sind zwar keine Beamte und haben weder die Ansprüche
noch die Verpflichtungen, welche aus einem durch Anstellung begründeten
Dienstverhältnis hervorgeh@n, wohl aber haben sie alle Rechte und Pflichten,
welche mit der Führung eines öffentliches Amtes verbunden sind. Die schuld-
bare Nichterfüllung der Dienstpflicht wird an Geschworenen und Schöffen
mit einer Ordnungsstrafe von 5 bis zu 1000 Mark und dem Ersatz der ver-
ursachten Kosten bestraft *); die Vorspiegelung unwahrer Tatsachen als
Entschuldigung, um sich dem Dienst als Geschworener oder Schöffe zu ent-
1) Ausserdem bei den Gewerbegerichten (Ges. v. 30. Juni 1901 $ 20) und Kauf-
inannsgerichten (Ges. v. 6. Juli 1904 $ 15 Abs. 2), den Arbeiterversicherungsgerichten
(oben $ 34) und den Konsulargerichten (Konsulargerichtsbarkeitsgesetz $ 12 Abs. 2),
sowie den Schutzgebietsgerichten (oben 8. 210).
2) Die näheren Angaben in meinen: Staatsr. d.D. R. III 8. 140 ff.
3) GerichtsverfGes. $ 31, 84. Strafgesetzh. $ 31 Abs. 2.
4) GerichtsverfGes. $ 56, 96 Abs. 2. Vgl. ReichsversO. $$ 17 fe.; 50 fe., 76, 95, 107.
Ges. über die Angestelltenvers. $ 116.