352 Achter Abschnitt: Das Gerichtswesen. 8 38
Zeugen, über seine persönlichen Verhältnisse Auskunft zu erteilen und im
Zusammenhange anzugeben, was ihm über den Gegenstand seiner Vernehmung
bekannt ist. Die Erfüllung dieser Pflicht kann jedoch von dem Zeugen unter
gewissen Umständen abgelehnt werden, wenn er durch Abgabe des Zeugnisses
in eine Kollision mit seinem eigenen Interesse oder mit andern Pflichten, auf
welche der Staat Rücksicht nimmt, geraten würde !). Wird die Ablegung des
Zeugnisses ohne Grund oder nach Verwerfung des vorgeschützten Grundes
verweigert, so hat dies vollkommsn analoge Wirkungen wie die Verletzung
der Erscheinungspflicht.
c) Die Pflicht zur Eidesleistung. Der Zeuge muss nach seiner Ver-
nehmung den Eid leisten, dass er nach bestem Wissen die reine Wahrheit
gesagt und nichts verschwiegen habe ?). Der Schwur erfolgt unter Anrufung
Gottes, ‚des Allmächtigen und Allwissenden‘“, und schliesst mit den Worten
„So wahr mir Gott helfe“. Aus dem Inhalt des Eides folgt, dass alle Gründe,
welche einen Zeugen zur Verweigerung der Aussage berechtigen, ihn auch
von der Eidesleistung befreien; es gibt ausserdem aber eine Anzahl von Fällen,
in denen die Vereidigung von Zeugen, welche eine Aussage machen, unter-
bleiben muss oder unterbleiben kann. Die unberechtigte Weigerung der Lei-
stung des Zeugeneides hat ganz dieselben Rechtsfolgen wie die unberechtigte
Weigerung der Aussage.
4. Die Zeugenpflicht ist nicht unentgeltlich zu erfüllen; jeder Zeuge er-
hält auf seinen Antrag für Zeitversäumnis, wofern mit der letzteren
nach der Lebensstellung des Zeugen eine Beeinträchtigung seines Erwer-
bes verbunden ist, eine Entschädigung, sowie eintretenden Falles Ersatz
der Reisekosten. Die Höhe der zu zahlenden Gebühren und Entschädigungen
ist in der Gebührenordnung vom 30. Juni 1878 (RGBl. S. 173) in der Fassung
der Bekanntm. v. 14. Juni 1898 (RGBl. S. 689) bestimmt.
5. Die Plicht zur Erstattung sachverständiger
Gutachten ist vom staatsrechtlichen Gesichtspunkt aus der Zeugenpflicht
gleichartig; nur insofern macht sich ein erheblicher Unterschied bemerkbar,
als die freiwillige Uebernahme dieser Pflicht in weitem Umfange zur Anwen-
dung kommt, so dass die gesetzliche Verpflichtung nur subsidiär
geltend gemacht wird. Wenn Personen zur Erstattung von Gutachten ge-
wisser Art öffentlich bestellt sind, so sollen andere Personen nur dann als
Sachverständige berufen werden, wenn besondere Umstände es erfordern ?°).
Dieselben Gründe, welche einen Zeugen berechtigen, das Zeugnis zu ver-
weigern, berechtigen einen Sachverständigen zur Verweigerung des Gutach-
tens. Ein Zwang zur Abgabe des Gutachtens durch Vorführung oder durch
Haft darf nicht ausgeübt werden; die Verletzung der Pflicht zum Erscheinen,
zur Erstattung des Gutachtens oder zur Ableistung des Eides zieht die Ver-
urteilung zum Ersatz der dadurch verursachten Kosten und zu einer Ordnungs-
strafe nach sich. Die Substituierung einer Freiheitsstrafe im Unvermögens-
1) Das Nähert siehe Staatsrecht d. D. R. III S. 474 ff.
2) ZivilprozO. 8 302 in der Fassung des Ges. v. 1. Juni 1909 (RGBl. S. 482).
3) ZivilprozO. $ A401 Abs. 2, StrafprozO. $ 73. MilitärstrafgerichtsO. $ 209.