$ 40 Die verfassungsrechtlichen Grundlagen. 357
trag vom 23. Nov. 1870 ein weitreichendes Sonderrecht eingeräumt worden,
indem dem Könige von Bayern im Frieden der Oberbefehl über seine Armee
und die Besetzung sämtlicher Kommandos in derselben überlassen, die Fort-
geltung der bayerischen Militärgesetze, Verordnungen, Reglements usw.
bis zur Aufhebung im Wege der Reichsgesetzgebung zugestanden, die Selb-
ständigkeit der Armeeverwaltung, insbesondere auch hinsichtlich der Auf-
stellung der Spezialetats, Rechnungsskontrolle usw. gewährleistet worden
ist. Die übrigen Staaten (ausgenommen Sachsen und Würt-
temberg) haben mit Preussen Konventionen !) abgeschlossen, durch welche
sie die Verwaltung ihrer Kontingente, die Ernennung der Offiziere und Be-
amten und die meisten andern nach der RV. ihnen zustehenden militärischen
Hoheitsrechte dem Könige von Preussen zur Ausübung übertragen haben,
so dass die Kontingente dieser Staaten dem preussischen Kontingente zu-
gewachsen sind. Es bleiben demnach nur zwei Staaten übrig, auf welche
die in der RV. normierte Ordnung des Heereswesens, nämlich die hier aner-
kannte Teilung der Militärhoheitsrechte zwischen Reich und Einzelstaat
wirklich Anwendung findet, die Königreiche Sachsen und Württemberg ?).
II. Die sofortige Herstellung der Rechtseinheitim Nordd. Bunde
war nur in der Art zu erreichen, dass man den Geltungsbereich der preussi-
schen Gesetzgebung auf das ganze Bundesgebiet erstreckte. Denigemäss ver-
ordnet der Art. 61 der Verf., dass in dem ganzen Bundesgebiet die ge -
s& m t e preussische Militärgesetzgebung, mit alleiniger Ausnahme der Militär-
Kirchenordnung, ungesäumt einzuführen sei. Die definitive Kodifikation des
Militärrechts sollte durch ein umfassendes ‚Bundes-Militärgesetz‘“ erfolgen.
Dem Geltungsgebiet der preussischan und der Bundes-Militärgesetzgebung
traten hinzu Südhessen durch die Milit.-Konv. v. 7. April 1867 Art. 2, Baden
und Württemberg durch die Bündnisverträge vom 15. u. 25. Nov. 1870, und
Elsass-Lothringen durch das Ges. v. 23. Januar 1872 (GBl. f. Els.-Lothr.
S. 83). Für Bayern wurde dagegen durch den Bündnisvertrag v. 23. Nov.
1870 III $ 5 und die Schlussbestimmung zum IX. Abschnitt der RV. zwar
die unumschränkte Kompetenz des Reiches zur Militärgesetzgebung anerkannt,
dagegen die Einführung der bereits vor dem Eintritt Bayerns in den Bund
erlassenen Gesetze und sonstigen Bestimmungen von ‚‚freier Verständigung‘,
d. h. von der Einwilligung der bayer. Regierung abhängig gemacht. Sonach
bildet das Bundesgebiet ein einheitliches Rechtsgebiet hinsichtlich derje-
nigen Militärgesetze, welche seit Errichtung des Deutschen Reiches erlassen
worden sind; hinsichtlich der übrigen auf das Heerwesen bezüglichen Rechts-
und Verwaltungsvorschriften dagegen zerfällt es in zwei Rechtsgebiete, welche
man als die des preussischenunddesbayerischen Rechts einan-
der gegenüberstellen kann. Der Gegensatz der beiden letzteren hat aber mit
der fortschreitenden Ausbildung der Reichsgesetzgebung und der allmählichen
1) Vgl. über dieselben Staatsr. d. D. R. IV S. 24 ff.
2) Auch: mit Sachsen und Württemberg sind übrigens Militärkonventionen abge-
schlossen worden, durch welche zwar nicht die prinzipielle Grundlage, wohl aber die
Anwendung der einzelnen in der RV. enthaltenen Rechtssätze modifiziert worden ist.
Vgl. Staatsr. d. D. R. IV S. 29 fg.