s$ 40 Die verfassungsmässigen Grundlagen. 365
Verhältnis eines kommandierenden Generals zu allen inihren Gebie
ten garnisonierenden oder vorübergehend dorthin kommandierten Truppen
und üben als solche neben den Ehrenrechten die entsprechende Disziplinar-
strafgewalt aus. Sie haben das Recht, Offiziere & la suite zu ernennen, deren
etwaige Besoldung und dereinstige Pensionierung nicht aus Reichsmit-
teln erfolgt; sie sind ferner befugt zur Auswahl der Adjutanten, welche ihnen
oder den Prinzen des Hauses zur Verfügung zu stellen sind. Auch werden
die Hoheitszeichen des betreffenden Staates in Wappen und Farben an den
dem Militär eingeräumten Lokalitäten und Garnisons-Einrichtungen bei-
behalten, soweit nicht Bundeszeichen und -Farben an die Stelle treten.
b) Den Bundesfürsten und Senaten steht das Recht zu, zu polizeilichen
Zwecken nicht bloss ihre eigenen Truppen zuverwenden, sonderm
auch alle anderen Truppenteile des Reichsheeres, welche in ihren Länder-
gebieten disloziert sind, zureqguirierent). RV. Art. 66 Abs. 3.
3. Militärhoheitsrechte gegen die Staatsangehö-
rigen. Die gesetzliche Wehrpflicht ist eine dem Landesherrn zu lei-
stende Untertanenpflicht; für die tatsächliche Erfüllung der Militärpflicht ist
dieser Grundsatz aber modifiziert teils durch das Recht des Kaisers zur
Verfügung über die von den Einzelstaaten gestellten Rekruten, teils durch die
Vorschrift, dass die Gestellung und Aushebung des einzelnen Wehrpflichtigen
im Bezirke seines dauernden Aufenthaltsortes erfolgt, und dass der Wehr-
pflichtige unter Umständen den Truppenteil selbst wählen kann, bei welchem
er seiner aktiven Dienstpflicht genügen will ?). Eine Folge dieser sogen. mi-
litärischen Freizügigkeit ist eine Abrechnung unter den Staaten mit selbstän-
diger Kontingentsverwaltung über diejenigen Mannschaften, welche in einem
andern Kontingente als in ihrem Heimatsstaate ihrer Dienstpflicht genügen °).
Den prägnantesten Ausdruck findet der Grundsatz, dass die gesetzliche
Dienstpflicht eine Pflicht gegen den Heimatsstaat ist, darin, dass jeder Wehr-
pflichtige den Fahneneid seinem Landesherrn (nicht dem Kontingents-
herrn, ebensowenig dem Kaiser) leistet. Dem Landesherrn gelobt er, ‚als
Soldat treu zu dienen“. In diesen dem Landesherrn zu leistenden Eid ist
nach Art. 64 Abs. 1 der RV. die Verpflichtung aufzunehmen, ‚den Befehlen
des Kaisers unbedingte Folge zu leisten“. Ein äusserliches, sichtbares Zeichen,
dass die Wehrpflicht auf der Staatsangehörigkeit beruht und dem Landesherrn
geleistet wird, ist die Landeskokarde ®).
1) Vgl. über diese Unterscheidung Arch. f. öftentl. R. Bd. III S. 515 fg.
2) Einige Schriftsteller leiten daraus die ganz unbegründete Schlussfolgerung ab,
dass die Wehrpflicht eine Pflicht gegen das Reich sei. Vgl. darüber mein Staatsrecht
des D. R. IV S. 67fg. Auch bei den afrikanischen Schutztruppen kann der aktive
Dienst geleistet werden. Siehe oben 8.211 und Ges. v. 25. Juni 1902 (RGBi. 8. 237).
3) Vgl. meine Erörterung im Arch. f. öffentl. R. Bd. III S. 521 und das Reichs-
gesetz betreffend die Ersatzverteilung von 26. Mai 1893 (RGBl. S. 185).
4) Die Militärkonventionen enthalten darüber, sowie über die Berücksichtigung
der Landesherren bei Ausübung des Begnadigungsrechts nähere Bestimmungen. Siehe
mein Staatsr. d. D. R. IV S. 70. Eigentümliche Schwierigkeiten können in dem sehr
häufigen Falle, dass der Wehrpflichtige mehrere deutsche Staatsangehörigkeiten hat,
entstehen. Bei Abfassung der RV. hat man an diesen Fall offenbar nicht gedacht. Tat-
sächlich leisten wohl in der Regel die Wehrpflichtigen ohne Rücksicht auf die aus dem