Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

$ 41 Die Organisation und Gliederung der bewaffneten Macht. 371 
  
  
Gerichtsorganisation und kann heute, ebenso wie es im Mittelalter der Fall 
gewesen ist, zu einer ernsten Gefährdung der Unabhängigkeit und Unpartei- 
lichkeit der Militärgerichte werden. Die Militärgerichtsgewalt ist in der mili- 
tärischen Befehlsmacht enthalten, mithin ein Recht des Kontingents- 
herrn. Durch die Uebertragung einer militärischen Befehlshaberstelle über- 
trägt der Kontingentsherr zugleich die Ausübung der Gerichtsgewalt. Ge- 
richtsherr ist derjenige, welcher im Auftrage des Kontingentsherrn diese Ge- 
richtsgewalt ausübt. Er gehört nicht zu dem Spruchgericht; er ist nicht 
Vorsitzender desselben und nimmt nicht an den Verhandlungen teil; aber er 
besetzt und beruft das in den einzelnen Sache erkennende Gericht und er be- 
stätigt das gefundene Urteil und erklärt es für vollstreckbar. Er verfügt die 
Vorführung des Beschuldigten, die einstweilige Enthebung vom Dienst, die 
Verhängung der Untersuchungshaft, die Unterbringung in eine Irrenanstalt, 
die Beschlagnahme des Vermögens und die Vollstreckung der Strafe. Der 
höhere Gerichtsherr kann den ihm untergebenen Gerichtsherrn anweisen, 
eine Untersuchung einzuleiten oder fortzusetzen, sowie ein Rechtsmittel 
einzulegen oder zurückzunehmen und er hat über Rechtsbeschwerden ge- 
gen die Anordnungen des ihm unterstellten Gerichtsherrn zu entscheiden !). 
2. Die Militärgerichtsbarkeit ist — ebenfalls in Uebereinstimmung mit 
mittelalterlichen Einrichtungen — entweder eine niedere oder höhere. Die 
niedere Gerichtsbarkeit erstreckt sich nur auf Personen, welche nicht Offiziers- 
rang haben und sachlich nur auf Uebertretungen und die nur mit Arrest be- 
drohten militärischen Vergehen, soweit nicht die Verhängung einer Ehrenstrafe 
zu erwarten ist; die höhere Gerichtsbarkeit erstreckt sich auf alle unter 
Militärgerichtsbarkeit stehenden Personen und umfasst a 11 e strafbaren Hand- 
lungen. Gerichtsherr der niederen Gerichtsbarkeit ist der Kommandeur eines 
Regiments oder eines selbständigen Bataillons; in der Marine der Komman- 
deur einer Matrosen- oder Werftdivision oder eines selbständigen Bataillons 
oder einer Abteilung. Gerichtsherr der höheren Gerichtsbarkeit ist regel- 
mässig der Divisionskommandeur und der Chef einer der beiden heimischen 
Marinestationen. Zur Erledigung der Geschäfte stehen den Gerichtsherren 
der niederen Gerichtsbarkeit Gerichtsoffiziere, denen der höheren richterliche 
Militärjustizbeamte zur Seite. 
3. DieerkennendenGerichte sind mit Ausnahme des Reichs- 
militärgerichts keine ständigen Behörden, sondern Kommissionen, welche für 
den einzelnen Fall nach einer vorher bestinmmten Reihenfolge zusammengesetzt 
werden. Sämtliche Gerichte sind Kollegialgerichte; zu jeder dem Angeklag- 
ten nachteiligen Entscheidung, welche die Schuldfrage betrifft, ist eine Mehr- 
heit von zwei Dritteln der Stimmen erforcerlich. Die erkennenden Gerichte 
sind ?): 
a) Die Standgerichte; sie bestehen aus 3 Offizieren und sind zuständig 
für alle Strafsachen der niederen Gerichtsbarkeit. 
1) Vgl. Guderianae.a. O. S. 480 ff., 497 ff. 
2) Besondere Bestimmungen gelten für das Verhältnis ‚im Feld‘ und ‚an Bord“. 
gl. darüber das Staatsr. des D. Reichs IV S. 112. 
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