g 44 Das Reichsvermögen. TII. Die Reichsschulden. 397
wie die Aufnahme der Anleihe ist auch die Kündigung und Tilgung der Anleihe
ein Verwaltungsgeschäft, zu welchem wegen seiner Wichtigkeit für die Reichs-
finanzen ebenfalls die Genehmigung des Bundesrats und des Reichstags für
erforderlich erklärt ist. Reichsschuldenordn. $ 6. Den Anleihensgläubigern
steht ein Anspruch auf Tilgung nicht zu; die selbstverständliche Bestimmung
in $ 5 der Reichsschuldenordnung, dassdie durch den Haushaltungsplan dazu
bestimmten Mittel zum Ankauf einer entsprechenden Anzahl von Schuldver-
schreibungen verwendet werden, ist nur eine Verhüllung dieses Satzes. Hinsicht-
lich der Tilgung der Reichsanleihen gelten jetzt die Bestimmungen des G e-
setzesüberdasFinanzwesenv. 15. Juli 1909 (RGBl. S. 743 ff.).
Dieses Gesetz unterscheidet zwischen den für werbende Zwecke ausgegebenen
und den übrigen Anleihen und zwischen den bis zum 30. Sept. 1910 und den
vom 1. Okt. 1910 ab begebenen Anleihen. Die für werbende Zwecke bis
zum 30. Sept. 1910 ausgegebenen Anleihen sollen vom Rechnungsjahr 1908 ab
jährlich um mindestens ?/; Prozent des Schuldbetrages getilgt werden !);
die vom 1. Oktober 1910 ab begebenen um mindestens 1,9 Prozent; die zu
sonstigen Zwecken vor dem 1. Okt. 1910 ausgegebenen Anleihen sind
jährlich mindestens mit 1 Prozent, die nach diesem Termin begebenen min-
destens mit 3 Prozent — in allen Fällen unter Hinzurechnung der ersparten
Zinsen (in Höhe von 314, Proz.) — zu tilgen ?). Allein diese Bestimmungen
haben nur eine rechtliche Bedeutung für das Etatsrecht und sind nicht mehr
als ein guter Vorsatz zur Besserung der Finanzlage des Reichs ?). Denn das
Gesetz fügt hinzu: ‚Eine Absetzung vom Anleihesoll ist‘ einer Tilgung gleich-
zuschten‘“. Eine effektive Schuldentilgung würde daher nur eintreten, wenn
nicht neue Schulden gemacht werden; wenn dagegen in Zukunft, wie bisher,
alljährlich neue Anleihen aufgenommen werden, so tritt keine Verminderung
der bestehenden Schulden ein, sondern der Betrag der neuen Anleihe wırd so
hoch bemessen, dass er die zur sogen. Schuldentilgung im Etat festgesetzte
Summe mitumfasst und das Anleihesoll wird alsdann um diesen Betrag
gekürzt; also eine fiktive Schuldentilgung durch eine fiktive An-
leihe ?).
Schatzanwcisungen sollen zur Deckung eines vorüber-
gehenden Geldbedürfnisses, insbesondere zur zeitweisen Verstärkung des
Betriebsfonds der Reichsverwaltung und zur vorläufigen Aufbringung eines
1) Fürdiese Anleihen ist $ 4 des Ges. v. 3. Juni 1906 (RGBl. S. 621) in Geltung
erhalten durch $ 3 Abs. 2 Satz 1 des Finanzgesetzes.
2) Die Anleihen, welche zur Uebernahme der Matrikularbeiträge und des Defizits
der Reichswirtschaft der Jahre 1906—1908 ausgegeben sind, sollen jährlich mit minde-
stens 1,9°;, getilgt werden, obgleich sie nicht zu einem ‚‚werbenden‘‘ Zwecke verwendet
sind. Finanzges. $ 2 Abs. 1.
3) Den Gläubigern ist weder durch das Ges. v. 3. Juni 1906 noch durch das
Ges. v. 15. Juli 1909 ein Anspruch auf Rückzahlung eingeräumt worden.
4) In dem Etatsgesetz für 1909 sind (rund) 25 Mill. zur Verminderung der Reichs-
schuld und (rund) 202 Mill. neue Anleihen angesetzt; die Reichsschuld ist also nicht
vermindert, sondern um 177 Mill. erhöht worden. Ausserdem ist im Etatsgesetz dem
Reichskanzler die Ermächtigung zur Ausgabe von 600 Mill. M. Schatzanweisungen
erteilt worden. Nach dem Etatsges. für 1912 $ 2 erhöht sich die im Wege der Anleihe
aufzunehmende Kreditsumme um den Betrag, welcher für die Ankäufe von Schuldver-
schreibungen des Reichs zu verwenden ist!