Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

426 Zehnter Abschnitt: Das Finanzrecht. $ 15 
  
Reichskanzler ausgeschrieben werden. Die Matrikularbeiträge sollten daher 
nur subsidiär zur Erhebung kommen und nur provisorisch bis zur Einführung 
von Reichssteuern. Dieser Grundsatz ist aber bei der Einführung neuer Steu- 
ern durch die sogen. Frankensteinsche Klausel (siehe oben S. 401) ausser An- 
wendung gesetzt worden. Bei Gelegenheit der Erhöhung der Zölle und der 
Tabaksteuer wurde auf Verlangen des Reichstages in das Reichsges. vom 
15. Juli 1879 im $ 8 Abs. 1 die Bestimmung aufgenommen, dass ‚‚derjenige 
Ertrag der Zölle und der Tabaksteuer, welcher die Summe von 130 Millionen 
Mk. in einem Jahr übersteigt, den einzelnen Bundesstaaten nach Massgabe 
der Bevölkerung, mit welcher sie zu den Matrikularbeiträgen herangezogen 
werden, zu überweisen sind“. Ebenso bestimmte das Gesetz über die Reichs- 
stempelabgaben vom 1. Juli 1881 $ 32, dass der Ertrag der Abgaben den 
einzelnen Bundesstaaten zu überweisen ist. Die gleiche Anordnung enthielt 
das Gesetz vom 24. Juni 1887 $ 39 Abs. 1 in betreff der Verbrauchsabgabe 
vom Branntwein und dies wurde durch das Branntweinsteuerges. von 1892 
Art. II Ziff. I (RGBl. S.250) auch auf die Brennsteuer ausgedehnt, indem 
dieselbe in einen Zuschlag zur Verbrauchsabgabe umgewandelt wurde. In- 
folge dieser Gesetze blieben die Matrikularbeiträge formell bestehen, ob- 
gleich diese Abgaben zur Bestreitung der ordentlichen Reichsausgaben aus- 
reichten, ja eine Zeitlang die Bedürfnisse der Reichsverwaltung überstiegen 
und eine erhebliche Dividende für die Einzelstaaten abwarfen. 
Da die Ueberweisungen und die Matrikularbeiträg> nach demselben Mass- 
stabe veranschlagt werden, nämlich nach der ortsanwesenden Be- 
völkerung ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit, so kompensieren sie 
sich. Zwischen ihnen besteht aber in Hinsicht des Etatsrechts ein erheblicher 
Unterschied. Die Ueberweisungen werden zwar im Etat des Reichs mit einer 
bestimmten Summe angesetzt, aber ihre Höhe bestimmt sich nach dem wirk- 
lichen Ertrage der Steuern; der etatsmässige Betrag ist keine Bewilligung, 
sondern nur eine schätzungsweise Annahme; die Matrikularbeiträge dagegen 
werden in bestimmter Höhe festgesetzt und der Reichskanzler kann sie nur 
in Höhe des budgetmässigen Betrages ausschreiben; der Reichstag hat daher 
das formelle Recht, sie zu „bewilligen‘“. 
Die Ueberweisungssteuern standen im Widerspruch mit Art. 70 der RV., 
welcher die Matrikularbeiträge nur provisorisch, ‚solange Reichssteuern 
nicht eingeführt sind“, zuliess; hinsichtlich der Zölle und Verbrauchsabgaben 
such mit Art. 38 Abs. 2 der RV., wonach die gesamte davon aufgekom- 
mene Einnahme nach Abzug der daselbst unter Ziff. 1—3 aufgeführten Be- 
träge „in die Reichskasse fliesst“. Es wurden Reichssteuern eingeführt, aber 
nicht — wie die RV. vorsieht — zur Deckung der gemeinschaftlichen Aus- 
gaben, sondern zur Verteilung an die Bundesstaaten. Man hat diesen Wider- 
spruch in sophistischer Weise dadurch verdeckt, dass man im Reichsetat die 
gesamte Einnahme aus Zöllen und Abgaben als Einnahme und die Ueberwei- 
sungen an die Einzelstaaten als Ausgabe aufführte, obgleich diese durch die- 
Reichskasse hindurchfliessenden Beträge weder Einnahmen noch Ausgaben 
(les Reichs sind und es auch dadurch nicht werden, dass sie als solche gebucht
	        
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