430 Zehnter Abschnitt: Das Finanzrecht. $ 46
anschlags; die Aufstellung eines Voranschlags von Einnahmen und Ausgaben
die bereits tatsächlich erfolgt sind, ist ein Widerspruch in sich. Die ange-
gebenen Worte des Art. 69 schreiben einen Termin vor, bis zu welchem der
Etat spätestens festgestellt werden soll; dagegen enthalten sie keine Vor-
schrift darüber, dass der Etat unmittelbar vor Beginn des Etatsjahres
festgestellt werden müsse oder über die in dieser Hinsicht einzuhaltende Zeit-
grenze. Der Natur der Sache nach verbietet sich nun allerdings die Auf-
stellung eines Voranschlags für eine noch fernere Wirtschaftsperiode und die
bisherige Praxis hat regelmässig daran festgehalten, in jedem Jahre nur den
Etat des nächstfolgenden Jahres festzustellen. Dem Wortlaut der
Reichsverf. widerspricht es aber nicht, wenn in einer Sitzungsperiode des
Reichstages die Etats der beiden folgenden Jahre in zwei besonderen, je ein
Etatsjahr betreffenden Gesetzen festgestellt werden !).
Aus den erwähnten Vorschriften des Art. 69 in Verbindung mit der An-
ordnug des Art. 70 Abs. 1 der RV., dass die gemeinschaftlichen Ausgaben
in der Regel für ein Jahr bewilligt werden, ergibt sich der Grundsatz, dass
nach dem Ablauf des Etatsjahres das Budget seine Kraft verliert undnicht
alsNormalbudget bis zur gesetzlichen Feststellung eines neuen Bud-
gets fortgilt.
3. Ueber die Formdes Etatsgesetzes enthält die Reichsverf.
keine Bestimmung; die gegenwärtig eltenden Grundsätze sind im Anschluss
an das in Preussen und dem Nordd. Bunde beobachtete Verfahren durch die
Praxis herausgebildet worden ?). Es ist zu unterscheiden zwischen dem G e-
setz, betreffend die Feststellung des Haushalts-Etats und dem Etat selbst,
welcher als Anlage beigefügt ist. Das Gesetz kann sich darauf beschränken,
zu konstatieren, dass der Etat in Einnahme und Ausgabe auf so und so viel
Mark festgestellt ist; es kann aber auch überdies Anordnungen enthalten,
welche mit der Finanzwirtschaft und der Ordnung des Reichshaushalts in
Zusammenhang stehen oder welche sonst aus irgend einen zufälligen Grunde
bei Gelegenheit dsr Etatsfeststellung getroffen werden. Die Regierung
braucht sich aber eine „Bepackung‘‘ des Etatsgesetzes mit Bstimmungen,
welche seinem Zwecke widersprechen, nicht gefallen zu lassen ?). Der Etat
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1) Dies ist in der Tat erfolgt in der Reichstagssession von 1882/83, in welcher die
Ktats für 1883/84 (RG. v. 2. März 1883) und für 1554/85 (RG. v. 2. Juli 1883) festge-
stellt worden sind. In den Verhandlungen des Reichstages von 1882 (Stenogr. Berichte I
S. 659 ff.) ist dies von mehreren Rednern für verfassungswidrig erklärt worden, indem
sie den Unterschied zwischen der gleichzeitigen Vorlegung von zwei Jahresetats und
der Vorlegung eines Zweijahresetats nicht würdigten. Dass man bei der Abfassung an
den Fall nicht gedacht hat, dass in einer Session dem Reichstage zwei Jahresetats vor-
gelegt werden, ist unerheblich, da in dem Wortlaut der Reichsverf. ein Verbot eines sol-
chen Verfahrens keinen Ausdruck gefunden hat.
3) Während in Preussen jetzt das Gesetz vom 11. Mai 1898 (Gesetzsamınl.
S. 77) die Rechtsregeln über den Staatshaushalt kodifiziert hat, fehlt es bisher noch an
einem entsprechenden Gesetz über den Haushalt des Reichs. Die Vorschriften des preus-
sischen Gesetzes lassen sich nur teilweise und mit Vorsicht auf das Reich analog über-
tragen.
3) Vgl. die Erklärung des Staatssekretärs des Reichsse hatzamts in der Sitzung
(des Reichstages vom 20. März 1896 (Stenogr. Berichte $S. 1611)und Seydel, Kommien-
tar 8. 399. Viele deutsche Landesverfassungen enthalten die ausdrückliche Anerken-
nung dieses Satzes. Siehe G. Mever, Staatsrecht $ 201 Note 14.