38 Dritter Abschnitt: Die natürlichen Grundlagen d. Reiches. (Land u. Volk) $8
Staat beherrscht, in beiden Fällen besteht die Analogie zwischen der Gebiets-
hoheit und dem Grundeigentum. Nur wenn man für die Gebietshoheit die
Raumfunktion, hinsichtlich des Grundeigentums die Sachfunktion der Begriffs-
bestimmung zugrunde legt, kann man zwischen ihnen einen Gegensatz, der
jede Analogie ausschliesst, konstruieren !). Man sagt, da das Gebiet zum
Wesen des Staates gehört, ein begrifiliches Moment des Staates sei, so
könne es nicht dem Staat gegenübergestellt und als Objekt seiner Herrschaft
angesehen werden. Diese immer wiederkehrende Argumentation hat wenig
Gewicht. Der Staat ist die rechtliche Organisation eines sesshaften Volkes.
Wie wird aber ein Volk sesshaft? Indem es ein Gebiet in Besitz nimmt, seiner
Herrschaft unterwirft. Das Gebiet ist also nicht ein Teil der rechtlichen
Organisation des Volkes, sondern eine Voraussetzung seiner Sess-
haftıgkeit; gerade dadurch, dass ein Volk die Herrschaft über ein Gebiet,
ein Recht am Gebiet hat, wird es befähigt, sich zum Staat zu organisieren ?).
Auch die Staaten der Feudalzeit beruhten auf Besitz und Herrschaftsrechten
an Territorien. Das Herrschaftsrecht am Gebiet als echtes Sachenrecht bildet
die historische Grundlage der Entwicklung der Staatsgewalt und die
geschichtliche Auffassung des Staates muss von der Gebietshoheit den Aus-
gangspunkt nehmen. Aber auch bei der modernen Vorstellung vom Staat
als der rechtlichen Ordnung einer Volksgemeinschaft bildet das Gebiet das
dauernde, sich gleichbleibende, die staatliche Individualität bestimmende
Moment, während die Staatsangehörigen einem fortwährenden Wechsel unter-
liegen. Auf der Beherrschung eines bestimmten Gebietes beruht die zeit-
liche Identität (Kontinuität) des Staates. Ebenso aber auch die
räumliche Einheit; denn die Staatsgewalt beherrscht nicht uur An-
gehörige, sondern auch Fremde. Auch die Möglichkeit einer staatlichen
Herrschaft über Gebiete, deren Bewohner nicht staatsangehörig sind, z. B.
über eroberte Länder, Schutzgebiete usw., beweist, dass die Gebietshoheit ein
selbständiges, von der korporativen Vereinigung der Staatsangehörigen be-
grifflich verschiedenes Recht des Staates ist. Demgemäss muss man aner-
kennen, dass ein Recht des Staats an seinem Territorıum besteht, welches von
seinen Hoheitsrechten über die Untertanen substantiell verschieden und
als ein staatsrechtliches Sachenrecht zu charakterisieren
1) Darauf beruht die Ausführung von Fricker vom Staatsgebiet, Tübingen 1867
und Derselbe, Gebiet und Gebietshoheit. Tüb. 1901. Er bestreitet auf Grund
dieser dialektischen Gegenüberstellung von @Gebietshoheit und Grundeigentum, dass
das Gebiet ein Objekt der Staatsherrschaft sei und er hat diese Ansicht mit so grossem
Scharfsinn durchgeführt, dass er zahlreiche Anhänger gefunden hat, so namentlich auch
Jellinek, Allg. Staatslehre S. 381ff. u. G. Meyer $ 74. Auch in der ausländi-
schen Literatur; vgl. z. BBCavaglieriim Archivio giuridico „Fil. Serafini‘‘ Serie III
Vol. 2 S. 77ff. Auch die Definition des Gebiets als die räumliche Kompetenzgrenze
der Staatsgewalt, welche Radnitzky im Arch. f. öff. R. Bd. 20 S. 313 ff. gibt, steht
der Frickerschen Ansicht sehr nahe. Eine ausführliche Darstellung der Kontroverse
unter Berücksichtigung der gesamten deutschen und italienischen Literatur gibt La
Spada in der neapolitanischen Revista giuridica e sociale IV S. 241 ff. (1907).
2) Die bei Fricker und Anderen, z. B. Inaına-Sternegg (Ztschr. f. d. ges. Staatswiss.
Bd.26 S. 328) u. Preuss (Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörpersch. S. 394) wiederkeh-
rende Bezeichnung des Gebiets als ‚„Körper‘‘ des Staats ist eine anthropomorphische
Spielerei, keine juristische Begründung. Sehr zutreffend sind die Bemerkungen von
W.Rosenbergin der Zeitschr. f. d. ges. Staatswissensch. 1909 S. 55 fg.