Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

$ 8 Das Bundesgebiet. 39 
ist). Die Gebietshoheit äussert sich wie das Eigentum in doppelter Richtung, 
die man gewöhnlich als negative und positive bezeichnet. Die erstere besteht 
inder Ausschliessung jeder anderen koordinierten Staatsgewalt von 
demselben Territorium; da sie sich gegen die anderen Staaten kehrt, so kann 
man siealsdie völkerrechtliche Seite der Gebietshoheit bezeichnen. 
Nach dem Völkerrecht wird in der Tat das Territorium eines Staates im Ver- 
hältnis zu anderen Staaten in völlig gleichartiger Weise wie das Eigentum in 
privatrechtlicher Beziehung behandelt ?). Die positive Seite des Rechts am 
Territorium besteht in der unbeschränkten Befugnis des Staates, das Gebiet 
für die staatlichen Zwecke zu verwenden, darüber zu 
schalten und zu walten ®). Beide Wirkungen bedingen sich wechselseitig ; 
eine ist ohne die andere nicht denkbar. 
Wenn man von diesem Begriffe ausgeht, so ergibt sich, dass im Reiche 
ene doppelte Gebietshoheit besteht; die Staaten sind mit Land und 
Leuten der Reichsgewalt untertan. Ihre Gebietshoheit haben sie insoweit be- 
halten, als ihnen Herrschaftsrechte geblieben sind; sie ist auf das Reich 
übergegangen, soweit das Reich die Hoheitsrechte der Einzelstaaten auf 
sich vereinigt hat. Die Kompetenzgrenze zwischen Reich und Einzelstaat 
ist zugleich die Grenze, welche die Gebietshoheit des Reiches am Reichs- 
gebiet von der Gebietshoheit der Staaten am Staatsgebiet scheidet. Die 
Gebietshoheit ist nicht in der Art geteilt, dass gewisse Herrschaftsbefug- 
nisse ausschliesslich dem Reich, gewisse andere ausschliesslich dem Einzel- 
staat in völliger Trennung zustehen; sondern die Souveränetät hat auch 
in dieser Beziehung das Reich, die Einzelstaaten haben die Rechte der Auto- 
nomie und Selbstverwaltung in ihren Territorien. Soweit die eigene Ver- 
waltung des Reiches sich erstreckt, gibt es innerhalb des Bundesgebietes keine 
Grenzen; soweit die Verwaltung den Einzelstaaten zusteht, kommt die Ge- 
bietshoheit derselben zu voller Geltung. Daraus ergibt sich, dass die Be- 
hörden eines Bundesstaates Hoheitsrechte in dem Gebiet eines anderen 
  
1) Die Gebietshoheit steht nicht im Widerspruch mit dem Satz, dass das spezi- 
fische Merkmal des Staates die Herrschaft über freie Personen sei, wie Jellinek, 
Allgem. Staatslehre S. 386 Anm. lund Wilh.vanCalker, Krit. Vierteljahresschr. 
3. F. Bd. X S. 616 behaupten. Denn dieses Merkmalerschöpft nicht das Wesen 
des Staates und schliesst nicht aus, dass es neben der ihm allein zukommenden und deshalb 
für ihn charakteristischen Hoheit über Untertanen noch andere Merkmale und Rechte 
habe. Es steht doch damit auch nicht im Widerspruch, dass der Staat Vermögens- 
rechte und dass er völkerrechtliche Rechte und Pflichten hat; warum sollte daher die 
Herrschaft über ein Gebiet damit unvereinbar sein ? 
2) Es gibt im völkerrechtlichen Verkehr am Gebiet einen Besitz und Besitzrechte 
und es ist Gegenstand der Okkupation, der Cession, des Tausches, des Kaufes, der Pacht, 
der Verpfändung, der Teilung. Nach dem Vertrage zwischen Schweden u. Mecklenb.- 
Schwerin v. 20. Juni 1903 Art. 2 wird der „Pfandbesitz‘‘ an Wismar umgewandelt in 
„Eigenbesitz“. Beichsgesetzbl. 1904 S. 299. Der sachenrechtliche Charakter der Ge- 
bietshoheit ist daher nicht, wie Jellinek S. 392 sagt, ‚ein in der völkerrechtlichen 
Lehre haften gebliebenes Rudiment der ehemaligen patrimonialen Staatslehre‘‘, son- 
dern er ist ein positiv anerkanntes Institut des praktischen Völkerrechts; nicht 
bloss der Theorie. 
3) Es ist allgemein anerkannt, dass die Gebietshoheit kein Eigentum im Sinne 
des Privatrechts ist, so wenig wie die Staatsgewalt über die Untertanen privatrecht- 
liche Gewalt ist. Aber so wie das Herrschaftsrecht über die Untertanen eine Analogie 
findet an den familienrechtlichen Gewaltverhältnissen, so die Gebietshoheit an dem 
sachenrechtlichen Eigentuni.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.