40 Dritter Abschnitt: Die natürlichen Grundlagen d. Reiches. (Land u. Volk.) $ 8
Staates nicht ausüben können, sondern dass sie die Behörden eines anderen
Staates um Rechtshilfe ersuchen müssen und gemäss ihrer bundesstaatlichen
Einigung gegenseitig zur Leistung derselben verpflichtet sind.
II. Der Umfang des Bundesgebietes ist durch RV. Art. 1 bestimmt !).
Nach diesem Artikel gibt es kein Bundesgebiet, welches nicht einem Staate
angehört, und kein Staatsgebiet der zum Bunde gehörigen Staaten, welches
nicht Bundesgebiet ist ?).. Durch die Erwerbung von Elsass-Lothringen ist
das Reichsland in dem durch den Frankfurter Friedensvertrag festgesetzten
Umfang hinzugekommen ®) und das im Art. 1 enthaltene Prinzip moditiziert
worden, indem das Reichsland kein Staat ist. Ein verfassungsänderndes
Reichsgesetz ist sonach erforderlich, sowohl wenn ein Staat Gebietsteile an
einen ausserdeutschen Staat abtreten, als auch wenn ein Staat ausserdeutsches
Land seinem Gebiete einverleiben will *).. Andererseits ist auch das Reich
nicht befugt, einzelne Teile eines Staates ohne dessen Zustimmung aus dem
Reichsgebiet auszuschliessen oder an einen ausserdeutschen Staat freiwillig
abzutreten 5). Ebensowenig ist das Reich befugt, die Binnengrenzen der
einzelnen deutschen Staaten ohne deren Zustimmung zu verändern, da die
Integrität der Mitglieder des Reiches nicht zur Verfügung der Reichsgewalt
steht, die letztere vielmehr verpflichtet ist, die Integrität der Bundesglieder
zu schützen. Dagegen steht es den Einzelstaaten frei, die Binnengrenzen
ihrer Gebiete zu verändern, durch Abtretung oder Austausch, ohne dass sie
dazu der Zustimmung des Reiches bedürfen. Indes ist eine Mitwirkung des
Reiches — und zwar je nach Umständen in der Form des Reichsgesetzes
oder in derjenigen des Bundesratsbeschlusses — erforderlich insoweit infolge
des Gebiets-Austausches oder der Gebiets-Abtretung eine Veränderung der
Stimmenzahl im Bundesrat, der Abgrenzung der Reichstagswahlkreise ®),
der Verteilung der Matrikularbeiträge, der Zoll- und Steuererträge, des
Rekrutenkontingents u. dgl. erforderlich wird.
Ill. Aeusserungen der Staatsgewalt des Reiches,
welche eine besondere Beziehung auf das Gebiet haben, sind folgende:
l. Dem Reich liegt der Schutz des Bundesgebiets ob. Nach RV. Art. 11
1) Vgl. Michelly, Der Gebietsbestand des Deutschen Reiches 1904 (Leipzig,
Doktor-Dissert.).
2) Teber die am Bodensee bestehenden Verhältnisse siehe Staatsr. d. D. Reichs I.
S. 179 und ferner Michellya.a. O0. S.70ff.
3) RG. v. 9. Juni 1871. $1. RGBI. S. 212.
4) Ein Beispiel bietet die Einverleibung Helgolands in das Preussische Staats-
gebiet und Reichsgebiet durch das RG. vom 15. Dezenib. 1890. RGBl. S. 207.
5) Es ist demnach sowohl die Zustimmung des Staates als auch die des Rei-
ches zu einer Abtretung von Bundesgebiet erforderlich. Nach diesem Grundsatz ist
bei der mit der Schweiz vereinbarten Regulierung der Grenze bei Konstanz auch ver-
fahren worden. RGP]3l. 1879. S. 307. Ebenso ist zu der Grenzberichtigung zwischen
Preussen und Oesterreich und zwischen Preussen und Dänemark die Zustimmung
des Reichs durch die Reichsgesetze vom 22. Januar 1002 (RGBl. S. 31. 32) erteilt wor-
ıden. Desgleichen zu den: Vertrage zwischen Schweden und Mecklenburg betreffend
Wismar v. 20. Juni 1903 (BGBl. 1904 S. 295). Dagegen ist (nach Art. 11 Abs. 1 der RV.)
die Abtretung von Bundesgebiet in einem Friedensschluss des Reiches nicht
von der speziellen Zustimmung des davon betroffenen Glicdstaates abhängig. Vgl.
über diese nicht unbestrittene Frage mein Staatsr. d.D. R.1.8.200 fg. und Michelly
Ss. 131 fe.
6) Vgl. RG. v. 18. Febr. 1906, RGBI. S. 317.