44 Dritter Abschnitt: Die natürlichen Grundlagen d. Reiches. (Land u. Volk.) $ 9
- -—. ._—— 12 mem — nn —_
selben Pflichten, welche in jedem Staate den Staatsangehörigen obliegen,
nämlich zum verfassungsmässigen Gehorsam und zur Treue!).
1. Die Gehorsamspflicht. Der Staatsbürger ist Objekt der
obrigkeitlichen Rechte des Staates; die Willensmacht des Staates richtet sich
gegen ihn und verpflichtet ihn zu Handlungen, Leistungen und Unterlassungen,
behufs Durchführung der dem Staate obliegenden Aufgaben ?). Der Ange-
hörige eines deutschen Staates ist der Staatsgewalt seines Staates und
mit diesem Staat der darüber stehenden, souverönen Gewalt des Reiches
untertan. Daraus ergibt sich, dass der Inhalt des Staatsbürgerrechts und der
des Reichsbürgerrechts sich zueinander ganz so verhalten, wie die Kompetenz
der Staatsgewalt zu der des Reiches. Die Reichsangehörigkeit ist wesentlich
Reichsuntertanenschaft, d. h. die Pflicht, den gesetzmässig ergangenen Ge-
boten und Verboten der Reichsgewalt Gehorsam zu leisten. Da nun die Kom-
petenz des Reiches und die der Einzelstaaten vielfach ineinander geschlungen
sind, und die letzteren auch auf den dem Reich zugewiesenen Gebieten des
Staatslebens regelmässig Selbstverwaltung haben, so lässt sich die in der
Reichsuntertanenschaft liegende Gehorsamspflicht nicht von der in derLandes-
angehörigkeit begründeten äusserlich abgrenzen. Es ist daher unmöglich, die
Pflichten einzeln aufzuzählen, welche das Reichsbürgerrecht enthält, und
ihnen diejenigen gegenüberzustellen, welche mit dem Staatsbürgerrecht ver-
knüpft sind.
2. Die Treuverpflichtung ist juristisch in ihrer negativen
Richtung von Bedeutung; sie enthält die Rechtspflicht zur Unterlassung von
Handlungen, weiche auf die Beschädigung des Staates abzielen. Handlungen
dieser Art sind Verrat‘). Aus dem Begriffe des Bundesstaates folgt
nun, dass die Verpflichtung zur Treue sowohl gegen den Gliedstaat, dem
jemand angehört, als auch gegen den Gesamtstaat begründet ist; dass dem-
nach feindselige Handlungen sowohl gegen jenen wie gegen diesen durch das
subjektive Moment des Treubruchs zum Verrat im eigentlichen Sinne ge-
stempelt werden. Ebenso ist die Beleidigung des Oberhauptes des Reiches in
gleicher Weise wie die Beleidigung des eigenen Landesherrn eine Verletzung
der mit der Untertanentreue verbundenen Pietätspflicht. Dagegen besteht
1) Der Staat legt diese Pflichten allerdings auch Fremden auf, welche sich in
seinem Gebiete aufhalten und den Schutz und die Wohlfahrtspflege des Staates mit-
geniessen (sogen. subditi temiperarii), den eigenen Angehörigen aber in erhöhten Grade
d.h. mit gesteigerten Inhalte. Namentlich werden von Ausländern weder Militärdienste
noch Gerichtsdienste oder andere öffentliche Funktionen verlangt. Dass die Pflicht zur
Treue eine selbständige, von der Gehorsamspflicht verschiedene Pflicht ist,
zeigt sich deutlich, wenn der Staatsangehörige im Auslande wohnt; in diesem Falle
besteht die Pflicht zur Treue gegen den lleimatsstaat fort, während der Gehorsam dem
Staat des Aufenthalts geschuldet wird.
3) Vel.v. Gerber, Grundzüge des Staaflsr. $ 15 ff.
3) Der Staat bedroht solche Handlungen zwar auch mit Strafe, wenn sie von einen
Ausländer begangen werden, aber nur wegen des politischen Interesses, sich durch die
Straflrohungen gegen feindliche Angriffe zu schützen. In Strafgesetzbuch sind die
feindlichen Handlungen von Ausländern auch als ‚„Hochverrat und Landesverrat‘‘ be-
zeichnet; dessenungeachtet ist es strafrechtlich keineswegs unerheblich, ob solche Taten
von einem Staatsangehörigen oder einem Fremden verübt werden. Nur im ersten
Falle sind sie als Verrat in eigentlichen Sinne zu bezeichnen. Vgl. Binding, Lehrb.
des Strafrechts. Besonderer Teil. Bd. II S. 4125 ff. (1905).