Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

89 Die Reichsangehörigen. 45 
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keine Untertanenpflicht und demgemäss auch keine Treuverpflichtung zu den 
anderen Einzelstaaten und ihren Landesherren. Daraus folgt natürlich nicht, 
dass eine gegen diese Staaten und Landesherren gerichtete Handlung straflos 
bleiben müsse. Werden selbst feindliche Handlungen gegen „befreundete“ 
Staaten und Beleidigung ihrer Souveräne unter der Bedingung derReziprozität 
bestraft, so gilt dies um so mehr von den zum Reich gehörenden, durch das 
enge staatsrechtliche und nationale Band verknüpften Gliedstaaten des Rei- 
ches !). Es ergibt sich daher hinsichtlich der Untertanen des Reiches eine drei- 
fache Abstufung des Verbrechensbegriffes nach Massgabe der Staatsangehörig- 
keit. a) Der Hoch- und Landesverrat und die Majestätsbeleidigung gegen das 
Reich und dessen Oberhaupt oder gegen den eigenen Staat und dessen Landes- 
herrn, denen der Staat resp. Landesherr gleichgestellt sind, in dessen Gebiet 
und unter dessen Schutz man sich aufhält. b) Feindliche Handlungen gegen 
andere Bundesstaaten oder Beleidigungen anderer Bundesfürsten. c) Feind- 
liche Handlungen gegen befreundete, nicht zum Reiche gehörende Staaten 
und Beleidigungen ihrer Landesherren, deren Strafbarkeit unter der Bedingung 
der Reziprozität steht. Diese dreifache Gliederung hat das Reichsstrafgesetz- 
buch in der Tat durchgeführt bei dem hochverräterischen Mordversuch ($ 80. 
81. 102) und der Fürstenbeleidigung ($ 94 fg. 98 fg. 103). Der sogen. mili- 
tärische Landesverrat, welcher in der Aufreizung eines fremden Staates zum 
Kriege gegen das Vaterland oder in der Unterstützung, Begünstigung und 
Vorschubleistung des Feindes nach ausgebrochenem Kriege besteht, kann nur 
gegen das Reich, niemals gegen einen einzelnen Gliedstaat gerichtet sein, da 
die Gliedstaaten das Recht zur Kriegführung nicht haben?). Demgemäss kommt 
auch in subjektiver Beziehung lediglich die Reichsangehörigkeit in Betracht 
und die $$ 87—90 des StrGB. bedrohen ‚einen Deutschen‘, welcher die 
daselbst angeführten Handlungen gegen das Deutsche Reich oder dessen 
Bundesgenossen verübt, mit Strafe. Dagegen der sogen. diplomatische Landes- 
verrat, welcher in der Mitteilung von Staatsgeheimnissen oder Urkunden, in 
der Vernichtung von Aktenstücken oder Beweismitteln behufs Gefährdung 
staatlicher Rechte oder in der Führung eines Staatsgeschäfts mit einer andern 
Regierung zum Nachteil des Staates, welcher den Auftrag dazu erteilt hat, 
besteht, kann seinem objektiven Tatbestande nach ebensowohl gegen das 
Reich, wie gegen jeden einzelnen Staat verübt werden. Das Strafgesetzbuch 
hat jedoch bei den erwähnten Fällen des Landesverrats und beim Hochverrat 
auf die Staatsangehörigkeit überhaupt keine Rücksicht genommen, sondern 
Inländer und Ausländer gleichgestellt, daher auch unter den ‚Angehörigen d der 
einzelnen Gliedstaaten nicht unterschieden. "3: 17, 
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1) Eine völlige Gleichstellung des Hoch- und Landesverrates gegen den eigenen 
Staat mit dem (Quasi-) Hoch- und Landesverrat gegen einen andern deutschen Staat 
ist aber dadurch noch nicht geboten. Was John (Holtzend. Handb. des Strafr.) III, 
18. 7£f. und Zorn, Staatsr. I. S. 376 fg. in dieser Richtung ausführen, ist von der 
Idee des Einheitsstaates, nicht der des Bundesstaates beherrscht. — Ueber den Fall 
mehrfacher Staatsangehörigkeit vgl. Falcke S. 28 ff. 
2) Auch das RG. v. 3. Juli 1893 (RGBil. S. 205) über den Verrat militärischer Ge- 
heimnisse erfordert wiederholt zum Tatbestande ‚die Gefährdung der Sicherheit des 
Deutschen Reiches“.
	        
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