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Pekuniäre Vorrechte, insbesondere eine sog. Zivilliste, sind mit der
Kaiserwürde nicht verbunden; durch das Etatsgesetz wird aber dem Kaiser
alljährlich ein ‚Dispositionsfonds‘ aus Reichsmitteln zur Verfügung gestellt.
IV. Die Regierungsrechte des Kaisers lassen sich nicht einzeln aufzählen ;
sie stehen überall im engsten Zusammenhange mit den Funktionen der übrigen
Organe des Reiches und der materiellen Regelung der einzelnen Verwaltungs-
zweige; sie lassen sich nur im allgemeinen nach ihrer juristischen Bedeutung
charakterisieren. Charakteristisch für die staatsrechtliche Stellung des Kaisers
im Verfassungsbau des Reichs ist, dass er allein für das Reichhandeln
kann; Bundesrat und Reichstag können zwar Beschlüsse fassen, aber niemals
sie zur Ausführung bringen; sie können Handlungen des Reichs bestimmen,
veranlassen, verhindern, aber niemals sie vornehmen. Der Kaiser übt die
Staatsgewalt des Reichs, das imperium, aus. Dadurch in Verbindung mit der
Erblichkeit des Kaisertums entsteht der Anschein, als wäre der Kaiser der
Monarch des Reichs; der Gegensatz des Kaisertums gegen das Monarchenrecht
besteht nicht in der Verschiedenheit der Machtbefugnisse, sondern in der
Verschiedenheit des Rechtsgrundes, auf welchem sie beruhen. Da das
Reich eine Korporation des öffentlichen Rechts ist, so kehren in der Reichs-
verfassung die allgemeinen Grundzüge der Korporationsverfassung wieder
und die Organe des Reiches haben ihr Analogon in den Organen der Privat-
korporation. Dem Kaiser stehen im wesentlichen diejenigen Befugnisse und
Pflichten zu, welche der Vorstand einer furistischen Person überhaupt
hat, nämlich:
l. Die alleinige ausschliessliche Vertretung des Rei-
ches Dritten gegenüber. Diese Funktion des Kaisers als Vertreter des
Reiches ist in der RV. Art. 11 Abs. 1 für die völkerrechtlichen Beziehungen
ausdrücklich anerkannt; allein es ist unrichtig, die Vertretungsbefugnis
des Kaisers auf die internationalen Beziehungen zu beschränken; auch in
allen übrigen Beziehungen, in welche das Reich zu dritten Personen treten
kann, insbesondere bei allen privatrechtlichen Verhältnissen des Reichsfiskus,
sowie bei allen staatsrechtlichen Beziehungen des Reiches zu den Einzelstaaten
wird das Reich durch den Kaiser oder durch den von ihm zu seiner Ver-
tretung ermächtigten und von ihm ernannten Reichsbeamten, der auf seinen
Befehl und in seinem Namen handelt, vertreten.
2. Dem Kaiser liegt die Regierung des Reiches ob; es ent-
spricht dies der Befugnis und Verpflichtung des Vorstandes einer Privat-
korporation zur Geschäftsführung; nur sind die Geschäfte des Staates öffent-
lichrechtlichen Inhalts, sie betreffen die Erfüllung der Aufgaben und Zwecke
des Staates, die Handhabung der ihm zukommenden Hoheitsrechte, die För-
derung seines Gedeihens; sie sind „Regierungsgeschäfte“. Bei einem Teil
dieser Geschäfte ist der Kaiser durch Verfassung oder Gesetz an die Mitwir-
kung anderer Organe gebunden. Die Regierungstätigkeit des Kaisers äussert
sich vorzugsweise in folgenden Richtungen:
a) Die Tätigkeit der übrigen Organe des Reiches, des Bundesrates und
Reichstages, wird von dem Kaiser in Gang erhalten und gewissermassen regu-