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$ 11. Der Bundesrat !). I. Die Gesamtheit der deutschen Landesherren
nebst den Senaten der 3 freien Städte als Einheit gedacht — tamquam unum
corpus — ist der Träger der Reichssouveränetät. Die Landesherren und
Senate üben diese Mitgliedschaftsrechte aber aus durch Bevollmächtigte,
ebenso wie im ehemaligen Deutschen Reiche die Stände nicht persönlich den
Reichstag besuchten, sondern sich durch Gesandte vertreten liessen. Die Ver-
sammlung dieser Bevollmächtigten der Bundesglieder ist der Bundesrat; der
letztere vertritt daher den Reichssouverän, d. i. die Gesamtheit der verbün-
deten Regierungen; er ist dasjenige Organ des Reiches, durch welches der
souveräne Herrschaftswillen desselben zutage tritt 2). Jedes Mitglied des
Reiches als solches hat demgemäss ein Anrecht auf Teilnahme am Bundesrat
und andrerseits ist die Mitgliedschaft am Bunde die wesentliche Voraussetzung
zur Teilnahme am Bundesrate (RV. Art. 6). Hieraus folgt, dass der Kaiser
als solcher, d. h. als Organ des Reiches, keine Vertretung im Bundesrat hat,
sondern nur der König von Preussen als Mitglied des Reiches. Der in der RV.
an mehreren Stellen vorkommende Ausdruck ‚Stimme des Präsidiums‘ oder
„bräsidialstimme‘“ ist nicht die kaiserliche Stimme, sondern die preussische.
Daher kann nur der König von Preussen, nicht der Kaiser als solcher, im
Bundesrat Vorschläge machen. RV. Art. 7 Abs. 2. Wegen der Personeneinheit
des Kaisers und Königs hat man aber in der Praxis einen Unterschied zwischen
Präsidialanträgen und preussischen Anträgen nicht gemacht; die sehr zahl-
reichen Präsidialanträge werden im Bundesrate als preussische behandelt °).
1) Vgl. die treffliche Abhandlung von M. Seydelin v. Holtzendorff-Brentanos
Jahrb. III (1879) S. 273 ff., die aber von der Grundanschauung ausgeht, dass das
Deutsche Reich kein souveräner Staat, sondern ein Verein der souveränen Deutschen
Landesherren sei; ähnlich G. Meyer, Staatsrecht $ 120. 123. Vgl. ferner v. Mar-
titz, Betrachtungen 8. 45 fg. v. Mohl, Reichsstaatsr. 8. 239 ff. Hänel, Studien
IIS.11fg. Kliemke;, Die staatsrechtl. Natur und Stellung des Bundesrats. Berlin
1894. Herwegen, Reichsverfassung und Bundesrat. 1902 (Bonner Dissert.). R o-
senbergin den Preuss. Jahrb. Bd. 109 S. 420 fg. (1902). v. Jagemann, Reichs-
verf. 8.80 ff. H.Reincke;, Der alte Reichstag und der neue Bundesrat 1906. (Ab-
handl. von Zorn und Stier-Somlo Bd.IIHeft1).. Meine Erörterungen im Jahrbuch I
s 18 e u. in der deutschen Juristenzeitung 1911 Sp. 1ff. Dambitsch, Komment.
. 192 £f.
2) Seydela a O. S. 275 sagt sehr richtig: „Eine Vertretung kann in:
doppelter Weise stattfinden: entweder so, dass der Vertretende seinen Willen anstatt
des Willens des Vertretenen mit Wirksamkeit für den letzteren erklärt, oder so,
dass der Vertretende den Willen des Vertretenen erklärt. In einem Falle ist der Ver-
treter Erzeuger eines eigenen Willensaktes, im andern Verkünder eines fremden Willens-
aktes.“ Eine Vertretung in der ersten dieser beiden Bedeutungen ist bei allen jurist.
Personen notwendig; denn dieselben sind an und für sich handlungs- und willens-
unfähig; sie erlangen diese Fähigkeit dadurch, dass der Wille und die Handlung einer
physischen Person (oder einer Mehrheit solcher) als Wille und Handlung der jurist.
Person von Rechts wegengilt und wirkt. Eine Vertretung in diesem Sinne
ist gemeint, wenn die Landesherren als Vertreter der Staaten bezeichnet werden. Eine
Vertretung im zweiten Sinne dagegen setzt gerade die Willens- und Handlungsfähig-
keit des Vertretenen voraus und wird regelmässig durch Erteilung einer Vollmacht
begründet. Der Bundesrat ist durch eine Kombination beider, spezifisch verschiedenen
Arten von Vertretungen ermöglicht. Der Wille des Reiches wird durch die Gesamt-
heit der Deutschen Staaten, vertreten durch ihre Fürsten, erzeugt, welche sich
hierbei ihrer Bundesrats-Bevollmächtigten als Erklärungs -Werkzeuge bedienen.
Damit erledigen sich wohl die Bedenken, welche Hänel, Hirths Annalen 1877 8. 87 fg.
erhebt.
3) Die Gesetzentwürfe, Etats und andern Vorschläge müssen in den Reichs-
ämtern vorbereitet und ausgearbeitet werden und erscheinen daher als Anträge der
Reichsregierung. Da aber die Präsidialanträge im staatsrechtlichen Sinne preussische