$ 11 Der Bundesrat. 65
besondere dem Kaiser und den Reichsbehörden, zugewiesen sind !). Keine
Tätigkeit des Reiches ist dem Bundesrat grundsätzlich entzogen; er ist Organ
der Gesetzgebung, der Verwaltung, der Rechtsprechung. Charakteristisch
für den Bundesrat ist, dass er immer nur beschliessen, niemals handeln, be-
fehlen, verfügen kann; in dieser Beziehung steht er dem Reichstage gleich.
Seine Beschlüsse können die Vorbedingung für Handlungen des Kaisers oder
der Reichsbehörden oder der Landesregierungen sein und es kann die ver-
fassungsmässige Pflicht bestehen, auf Grund von Bundesratsbeschlüssen die
ihnen entsprechenden Handlungen vorzunehmen; aber niemals ist der Bun-
desrat befugt, seine Beschlüsse selbst zur Ausführung zu bringen.
1. Der Bundesrat ist das eigentliche Organ der Gesetzgebung.
Zwar nehmen auch der Reichstag und der Kaiser teil; der erstere, indem
kein Gesetz erlassen werden darf, zu welchem er nicht seine Zustimmung er-
teilt hat; der letztere, indem ihm die Ausfertigung und die Verkündigung der
Gesetze zusteht. Allein der Reichstag nimmt keinen Teil an dem Erlass des
Gesetzesbefehls, also an der in jedem Gesetzgebungsakt liegenden Be-
tätigung der Herrschermacht, sondern seine Zustimmung ist lediglich eine
Vorbedingung für den Erlass des Gesetzesbefehls; der Kaiser andererseits ist
verfassungsmässig verpflichtet, das ordnungsmässig beschlossene Gesetz aus-
zufertigen und zu verkündigen; sein Wille ist ein rechtlich gebundener. Der
Bundesrat dagegen beschliesst über die dem Reichstage zu machenden Vor-
lagen und die von demselben gefassten Beschlüsse (Art. 7 Ziff. 1) mit recht-
licher Freiheit und durch seinen Beschluss erfolgt die Sanktion der
Reichsgesetze. Siehe unten $ 15 ?).
2. Der Bundesrat ist ein Organ der Verwaltung. Er hat als solches
das Recht zum Erlass der Verwaltung - Verordnungen. Da die Be-
hörden und Beamten, welchen die Handhabung der Reichsgesetze und die
Verwaltung der reichsgesetzlich geregelten Angelegenheiten obliegt, in keinem
Dienstverhältnis zum Reich, sondern nur zu ihrer Landesregierung stehen, so
ist diese auch nur berechtigt, ihnen Dienstanweisungen und Vorschriften für
die von ihnen zu führende Verwaltung zu geben. Der Reichskanzler ist dazu
nicht befugt; der Kaiser ist nicht der Dienstherr der Landesbeamten. Da-
durch ist die Gefahr begründet, dass die durch die Reichsgesetzgebung ge-
schaffene Rechtseinheit gestört und aufgelöst wird durch die Verschiedenheit
der Dienstanweisungen und Verwaltungsvorschriften der Einzelstaaten. Um
dies zu verhüten und die gleichmässige Handhabung der Reichsgesetze in
allen Bundesstaaten zu sichern, hat der Bundesrat zu beschliessen ‚über die
zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Ver-
waltungsvorschriften und Einrichtungen“ (Art. 7 Ziff. 2) ®). Indes
1) Seydela. a. O. S. 284.
2) Der Bundesrat ist keine ‚‚gesetzgebende Versammlung‘ in dem üblichen Sinne
einer Volksvertretung, eines Oberhauses; vgl. Binding, Lehrb. des Strafr. Beson-
derer Teil II, 2 S. 818 Note 1; er ist ebensowenig eine „Reichsbehörde‘“, im Sinne des
Beamtengesetzes, Strafgesetzbuchs und anderer Reichsgesetze, insbesondere keine
„oberste Reichsbehörde‘‘, kein Ministerium.
3) Daraus ergibt sich, dass der Bundesrat nicht befugt ist, ausser im Falle be-
Laband, Beichsstaatsrecht. 6. Aufl.