Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

$ 12 Der Reichstag. 75 
-—_ —  —— ——— — nt m 
  
setzes erteilten Ermächtigung hat der Bundesrat das Wahlreglement 
vom 28. Mai 1870 (BGBl. S. 275) erlassen ?). 
1. Wähler für den Reichstag ist jeder Deutsche, welcher das fünf- 
undzwanzigste Lebensjahr zurückgelegt hat ?). Die Berechtigung zum Wählen 
ist quoad jus vorhanden, ihre Ausübung aber ruht: a) für Personen des Sol- 
datenstandes des Heeres und der Marine so lange, als dieselben sich bei der 
Fahne befinden ?); b) für Personen, welche sich zur Zeit der Wahl nicht in 
einem Wahlbezirke aufhalten, in welchem sie ihren Wohnsitz haben ®); c) für 
Personen, welche nicht in die Wahllisten aufgenommen sind 5). Dagegen ist die 
Berechtigung zum Wählen entzogen Personen, welche unter Vormundschaft 
stehen *), welche sich im Konkurse befinden, welche eine Armenunterstützung 
aus Öffentlichen oder Gemeinde-Mitteln beziehen 7) oder im letzten der Wahl 
vorhergegangenen Jahre bezogen haben, und Personen, denen infolge rechts- 
kräftigen Erkenntnisses der Vollgenuss der staatsbürgerlichen Rechte ent- 
zogen ist, für die Zeit der Entziehung, sofern sie nicht in diese Rechte wieder 
eingesetzt sind ®). 
2. Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, welcher einem zum Bunde ge- 
hörigen Staate seit mindestens einem Jahre angehört hat). Wählbar sind 
demnach auch diejenigen Personen, deren Berechtigung zum Wählen ruht, 
dagegen nicht diejenigen, denen das Wahlrecht quoad jus entzogen ist. Auch 
die Bestimmung des Art. 9 der RV., dass niemand gleichzeitig Mitglied des 
Bundesrates und des Reichstages sein kann, benimmt den Mitgliedern des 
Bundesrates, mit Einschluss des Reichskanzlers, die Wählbarkeit nicht; der 
Gewählte kann aber nur die Wahl annehmen, wenn er aus dem Bundesrate 
ausscheidet 1°). Dader Reichskanzler dem Bundesrat angehören muss (S. 69 
Anm. 1), so kann er, falls er gewählt wird, die Wahl nur annehmen, indem er 
1) Nachträge dazu sind ergangen am 27. Februar 1871 (RGBl. S. 35), 1. Dezem- 
ber 1873 (RGBl. S. 374) und namentlich v. 28. April 1903 (RGBl. 8. 202 ff.). 
2) Wahlges. $1. Das Wahlrecht ist also an drei Voraussetzungen gebunden, Reichs- 
angehörigkeit, Alter von mindestens 25 Jahren und männliches Geschlecht. 
3) Wahlges. $ 2. Militärges. v. 2. Mai 1874 $ 49. 
4) Wahlges. $ 7. Daher können Reichsangehörige, welche ihren Wohnsitz in einem 
Schutzgebiet haben, ihr Wahlrecht nicht ausüben. Ein Wohnsitz im Sinne des Zivil- 
rechts wird nicht erfordert. Vgl. Staatsr. d. D. R. (5. Aufl.) IS. 311 Anm. 4. 
5) Wahlges. $ 8 Abs. 2. 
6) Vgl. BGB. $6. Es sind dies Geisteskranke und Geistesschwache, welche in- 
folge dieses Zustandes ihre Angelegenheiten nicht besorgen können, ferner gerichtlich 
erklärte Verschwender und Trunksüchtige. Dagegen sind Personen, welche nach $ 1910 
des BGB. einen Pfleger erhalten haben, von der Ausübung des Wahlrechts nicht aus- 
geschlossen. ' 
7) Das RG. v. 15. März 1909 (RGBl. S. 319) bestimmt, welche Bezüge nicht 
als Armenunterstützung anzusehen sind. 
8) Wahlges. $ 3. Strafgesetzb. $ 34 Nr. 4. Sind die staatsbürgerlichen Rechte 
wegen politischer Vergehen oder Verbrechen aberkannt worden, so tritt die Be- 
rechtigung zum Wählen wieder ein, sobald die ausserdem erkannte Strafe vollstreckt 
oder durch Begnadigung erlassen ist. Wahlges. $ 3 Ziff. 4 Abs. 2. 
9) Wahlges. $ 4. Dies gilt auch von den naturalisierten Reichsangehörigen der 
Schutzgebiete. Schutzgebietsges. v. 25. Juli 1900 $ 9 Abs. 2. 
10) Daher sind die Stimmzettel, welche auf den Reichskanzler oder ein anderes 
Bundesratsmitglied lauten, nicht für ungültig zuerachten. Uebereinstimmend 
Seydel' 8.366. Eine unrichtige Entscheidung der Wahlprüfungskommiss. des Reichs- 
tages in den Drucksachen des R. 1879 VI S. 1520.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.