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welche ebenfalls räumlich abgegrenzt sein müssen; die Abgrenzung dieser
Bezirke ist den Behörden der Einzelstaaten überlassen; in der Regel soll
aber jede Ortschaft einen Wahlbezirk für sich bilden ?).
6. Dass Wahlverfahren. Die Anordnung der Wahlen und die
Festsetzung des Tages, an welchem sie vorzunehmen sind, erfolgt durch kaiser-
liche Verordnung ?). Die Wahlen sind allgemeine (RV. Art. 20), d. h. der
Regel nach im ganzen Bundesgebiete an demselben Tage vorzunehmen; par-
tielle Wahlen (Ersatzwahlen) finden nur statt, wenn der Gewählte ablehnt,
wenn der Reichstag die Wahl für ungültig erklärt und wenn ein Abgeordneter
während des Laufes der Legislaturperiode aus dem Reichstage ausscheidet.
Für jeden Wahlbezirk ist von dem Gemeinde- oder Ortsvorstande eine Wähler-
liste anzufertigen ?), welche spätestens 4 Wochen vor dem zur Wahl bestimm-
ten Tage während eines Zeitraumes von mindestens 8 Tagen zu jedermanns
Einsicht auszulegen ist. Erinnerungen gegen die Richtigkeit der Wählerliste
können von jedem erhoben werden und sind von den in der Anlage D. zum
Wahlreglement bezeichneten Behörden zu erledigen. In jedem Wahlbezirk ist
ein Wahlvorsteher und ein Stellvertreter desselben zu ernennen; der Wahl-
vorsteher bestellt aus der Zahl der Wähler seines Bezirkes einen Protokoll-
führer und 3 bis 6 Beisitzer. Aus diesen Personen wird der ‚Wahlvorstand“
konstituiert ®).
Die Wahl erfolgt durch geheime Abstimmung, d. h. durch Stimm-
zettel, welche uneröffnet in eine Urne gelegt werden 5). Das Wahlrecht muss
in Person ausgeübt werden; Abwesende können weder durch Stellvertreter
noch in irgend einer anderen Art an der Wahl teilnehmen. Die Stimmzettel
müssen von weissem Papier sein und dürfen mit keinem äusseren Kennzeichen
versehen sein. Gedruckte Stimmzettel gelten nicht als Druckschriften im
Sinne der Reichs- und Landesgesetze ®). Die Wahlhandlung beginnt um 10 Uhr
vormittags und wird um 7 Uhr nachmittags geschlossen; darauf wird das Re-
sultat der Stimmabgabe im Wahlbezirke vom Wahlvorstand festgestellt. Die
Wahlvorsteher haben die Wahlprotokolle und sämtliche dazu gehörige Schrift-
stücke an den Wahlkommissar zu senden, der für jeden Wahlkreis von der
Verwaltungsbehörde zu bestellen ist. Am 4. Tage nach dem Wahltermin ist
das Resultat der Wahl für den Wahlkreis in öffentlicher Verhandlung fest-
zustellen, zu verkündigen und in den zu amtlichen Publikationen dienenden
Blättern bekannt zu machen ?).
Die Wahl erfolgt durch absolute Mehrheit aller in einem Wahlkreise ab-
gegebenen Stimmen; hat sich eine solche nicht ergeben, so findet unter den
1) Wahlges. $ 6. Weahlreglement $ 6. 7.
2) Wahlges. $ 14. Woahlregl. $ 9. — Vgl. auch Reichsverf. Art. 25.
3) Wahlges. $ 8.
4) Wahlregl. $ 10. 12.
5) RV. Art. 20. Wahlregl. $$ 13 ff. Zur Sicherung des Wahlgeheimnisses hat das
Wahlregl. v. 28. April 1903 $ 11 u. 15 besondere Sicherungsmassregeln vorgeschrieben ;
namentlich abgestempelte Umschläge, in welche der Stimmzettel in einem Nebenraum
oder an einem Nebentisch gesteckt werden kann. (Sogen. Klosettgesetz.)
6) Reichsges. v. 12. März 1884 (RGBl. 8. 17).
7) Wahlregl. $$ 25 ff.