Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

$ 12 Der Reichstag. 79 
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gemeine Wahlrecht als objektive Institution des Verfassungsrechts zu 
schützen, und nur infolge davon, also sekundär, dienen sie zugleich dazu, 
die Teilnahme des einzelnen an der Wahl zu schützen !). Zum Teil gehören 
hierhin die Vorschriften über das Wahlverfahren selbst, insbesondere dass die 
Wahlhandlung und die Feststellung des Wahlergebnisses öffentlich sind ?) 
und dass zu den Funktionen der Vorsteher, Beisitzer und Protokollführer nur 
Personen berufen werden dürfen, welche kein unmittelbares Staatsamt be- 
kleiden 3). Ferner ist den Wahlberechtigten das Recht gesichert, zum Betrieb 
der den Reichstag betreffenden Wahlangelegenheiten Vereine zu bilden und 
in geschlossenen Räumen unbewaffnet öffentliche Versammlungen zu ver- 
anstalten ?). Das Reichsstrafgesetzbuch ferner bedroht mit Strafe denjenigen, 
welcher einen Deutschen durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einer 
strafbaren Handlung an der Ausübung des Wahlrechts hindert 5); desgleichen 
denjenigen, welcher ein unrichtiges Ergebnis der Wahlhandlung vorsätzlich 
herbeiführt ®), sowie denjenigen, welcher eine Wahlstimme kauft oder ver- 
kauft”). Strafbar ist ferner die doppelte Ausübung des Reichstagswahlrechts®). 
Endlich kann man hierher die Bestimmung der RV. Art. 21 Abs. 1 zählen: 
„Beamte bedürfen keines Urlaubs zum Eintritt in den Reichstag‘‘; denn hier- 
durch wird das allgemeine Wahlrecht in der Richtung gesichert, dass der zum 
Mitglied des Reichstages Berufene nicht durch die ihm dienstlich vorgesetzte 
Behörde gehindert werden darf, die ihm übertragenen Funktionen auszuüben. 
7. Die Wahlprüfung?) erfolgt durch den Reichstag selbst. RV. 
Art. 27. Der Regierung steht keine Beteiligung an der Entscheidung zu. 
Sämtliche Wahlakten sind durch Vermittlung der Zentralbehörden der Einzel- 
staaten dem Reichstage vorzulegen 1°). Das Verfahren ist durch die Geschäfts- 
ordnung des Reichstages $$ 3—8 geregelt; die erste Prüfung findet in den 
1) Dem steht nicht entgegen, — wie Radnitzky, Parteiwillkür im öffentl. R. 
S. 36 meint —, dass über die Frage, ob jemand zur Teilnahme an einer Wahl befugt 
sei, in manchen Staaten ein kontradiktorisches Verfahren zugelassen ist. Vgl. auch 
Jellinek.a. a. O. S. 160. 
2) Wahlges. $ 9 Abs. 1. Weahlregl. $ 26 Abs. 3. 
3) Wahlges. $ 9 Abs. 2. Wahlregl. $ 10. 26. 
4) Wahlges. $ 17. Für Wahlvereine und Versammlungen zum Betriebe von Wahlen 
sind alle polizeilichen Beschränkungen aufgehoben durch das Vereinsgesetz 
v. 19. April 1908 (RGBl S. 151) $$ 4, 6 Abs. 2, 12 Abs. 2, 23 Abs. 1. Auch Wahlvereine 
können gemäss $ 21 des BGB. durch Eintragung in das Vereinsregister des zuständigen 
Amtsgerichts privatrechtliche Rechtsfähigkeit erlangen, wofern sie den in $ 55 ff. des 
BGB. aufgestellten Vorschriften entsprechen; die Verwaltungsbehörde kann aber ge- 
mäss $ 61 Abs. 2 gegen die Eintragung Einspruch erheben. | 
5) RStGB. $ 107. Ein Beamter unterliegt der Bestrafung selbst dann, wenn er 
die im $ 107 verbotene Handlung ohne Gewalt oder Drohung, aber durch Missbrauch 
seiner Amtsgewalt begangen hat. $ 339 Abs. 3. — 6) RStGB. $ 108. 
7) RStGB. $ 109. Vgl. über die sogen. Wahldelikte Binding, Strafrecht. Be- 
sonderer Th. II, 2 S. 827 ff. u. Max Ernst Mayer in der Vergleichenden Darstellung des 
Deutschen und Ausländ. Strafrechts. Bd. I 8. 272 ff.; über Stimmenkauf insbesondere 
Freudenthal, Die Wahlbestechung. Bresl. 1896. 
8) Entsch. des Reichsger. in Strafsachen Bd. 37 8. 234. 239. 297 v. 11. Juli und 
8. Nov. 1904 
9) Vgl. Jellinek, Ein Verfassungsgerichtshof für Oesterreich 1885 8. 10 fg.; 
Jaques, Die Wahlprüfung in den modernen Staaten 1835; meine Erörterung im 
Archiv £. öff. R. I. S. 226 fg.; Seydelin Hirths Annalen 1889 S. 273 ff. Prengel 
ebd. 1892 S. 1ff. G. Leser, Untersuchungen über das Wahlprüfungsrecht des d. 
Reichstags. Leipzig 1908 (Staatsr. Abhandl. von Jellinek u. Anschütz VII, 2). 
10) Wahlregl. $ 35.
	        
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