$ 12 Der Reichstag. 81
eintreten; wenn jedoch ein Mitglied des Reichstages die Wählbarkeit einbüsst,
so verliert es dadurch auch von selbst Sitz und Stimme im Reichstag !).
Jedoch ist dies nicht unbestritten ?).
III. Die Tätigkeit des Reichstages ist teils durch Anord-
nungen der Reichsverfassung teils durch die Autonomie des Reichstages
geregelt ?).
1. „Dem Kaiser steht es zu, den Reichstag zu berufen, zu eröffnen, zu
vertagen und zu schliessen.‘ RV. Art. 124). Ohne den Befehl des Kaisers
darf sich der Reichstag daher weder versammeln und seine Tätigkeit beginnen,
noch versammelt bleiben und seine Tätigkeit fortsetzen. Die Berufung
muss alljährlich stattfinden (RV. Art. 13), ohne dass es aber dem Kaiser ver-
wehrt ist, den Reichstag öfter einzuberufen °).; der Reichstag kann niemals
ohne den Bundesrat einberufen werden, der jetzt aber permanent ist. Die
Vertagung darfohne Zustimmung des Reichstages die Frist von 30 Tagen
nicht übersteigen und während derselben Session nicht wiederholt werden
(RV. Art. 26) ®). Die Vertagung bewirkt nur ein Ruhen der Reichstagsge-
schäfte; bei dem Wiederzusammentritt des Reichstages werden sie an dem
Punkte aufgenommen und fortgesetzt, an welchem sie liegen geblieben sind
(Kontinuität) ?). Die Schliessung beendigt die Sitzungsperiode; sie
macht eine neue Berufung, Eröffnung, Konstituierung des Reichstages erfor-
derlich; bei dem Wiederzusammentritt sind alle Geschäfte wieder von neuem
zu beginnen (Diskontinuität) ®).
2. Die Auflösung des Reichstages vor Ablauf der fünfjährigen
1) Hierher gehört auch der Fall, dass einem Reichstagsmitgliede die bürgerlichen
Ehrenrechte aberkannt werden. RStGB. $ 33. Vgl. auch Seydel S. 397. Ueber den
Fall, dass über das Vermögen eines Abgeordneten der Konkurs eröffnet wird, vgl.
Bauke in Hirths Annalen 1901 S. 401 ff.
2) Siehe darüber mein Staatsr. d. D. R. I S. 341.
3) Diese Autonomie ist durch Art. 27 der RV. begründet; der Reichstag rezelt
seinen Geschäftsgang und seine Disziplin durch eineGeschäftsordnung. Die-
selbe darf daher nichts enthalten, was im Widerspruch mit Reichsgesetzen steht. Die
Geschäftsordnung ist immer nur für denjenigen Reichstag bindend, der sie sich ge-
geben hat und kann jederzeit durch einen Beschluss des Reichstags abgeändert werden;
jeder neu gewählte Reichstag pflegt aber die bisher bestehende Geschäftsordnung an-
zunehmen. Dies kann auch stillschweigend geschehen. Die Geschäftsordnung des
Nordd. Reichstages v. 12. Juni 1868 ist im wesentlichen in Geltung geblieben; sie ist
mehrfach abgeändert worden; ein diese Abänderungen enthaltender Abdruck ist vom
Reichstagsbureau 1912 veranstaltet worden. Vgl. die inhaltreiche Schrift von K. P e-
rels, Das autonome Reichstagsrecht. Berlin 1903. Die Geschäftsordnung ist oft her-
ausgegeben worden, am besten von Perels a.a. 0. 8.109 ff.
4) Kieschke, Die Vertagung, Schliessung u. Auflösung des D. Reichstages.
Berlin 1907 (enthält viel Unrichtiges).
5) Darnach unterscheidet man ordentliche und ausserordentliche Sitzungsperioden.
6) Der Ausdruck ‚„Vertagung‘“ wird auch von der Beendigung oder Unterbrechung
der einzelnen Sitzungen und von der Anberaumung eines anderen Sitzungstages gebraucht.
7) Ob Kommissionen des Reichstages während der Vertagung Sitzungen halten
dürfen, ist in Zweifel gezogen worden. Die Verfassung steht nicht entgegen;
die Frage ist lediglich durch die Geschäftsordnung zu erledigen.
8) Vgl. über die Diskontinuität der Sitzungen das Erk. des Reichsgerichts vom
25. Febr. 1902. Entsch. in Strafsachen Bd. 22 8. 379 ff. Auch Reichstags-Kommissionen
können nach Schluß der Sitzungsperiode ihre Tätigkeit nicht fortsetzen. Das Ges. v.
23. Dez. 1874 (RGBl. S. 194) hat eine Ausnahme hiervon gemacht und dadurch die
Regel bestätigt. Das gleiche gilt von der Zolltarifkommission von 1902. Vgl. auch RG.
v. 2. Juni 1910 RGBl. 8.859 (Strafprozesskommission und Versicherungsordnungsk.).
Laband, Reichsstaatsrecht. 6. Aufl. 6