254 & 29. Der Bundesrat als Organ des Reiches.
Dieser Ausschuß bildet aber keineswegs ein Hindernis, daß nicht auch
dem Plenum des Bundesrates unmittelbar Mitteilungen über die aus-
wärtigen Angelegenheiten des Reiches gemacht werden, wie dies bereits
vor Bildung dieses Ausschusses wiederholt geschehen ist!).
IV. Da der Bundesrat ein Kongreß von Bevollmächtigten sämtlicher
Bundesstaaten ist, so kann er auch dazu dienen, daß die deutschen
Regierungen außerhalb der verfassungsmäßigen Kompetenz des Bundes-
rats sich über gleichmäßige Verwaltungseinrichtungen oder überein-
stimmende Handhabung von Dingen, welche der freien Verwaltung
der Einzelstaaten unterliegen, verständigen und darüber »Grundsätze«
vereinbaren’). Hier ist aber die Majorität der Stimmen nicht befugt,
die Minderheit zu zwingen; solche Vereinbarungen verpflichten nur
diejenigen Regierungen, welche ihnen zugestimmt haben; auch können
sie niemals die Kraft von »Rechtssätzen« haben‘).
S 29. Der Bundesrat als Organ des Reiches.
Ein völlig anderes Bild gewährt die Institution des Bundesrates,
wenn man denselben als Ganzes betrachtet. Das Recht des Einzel-
staates konsumiert sich durch die im Bundesrat erfolgte Abstimmung;
nur bis zu diesem Moment erscheint die Individualität des einzelnen
Staates als maßgebend %). Sobald der Bundesrat einen Beschluß gefaßt
hat oder sofern er in irgend einer Beziehung als Einheit, als Gesamtheit
rechtlich in Betracht kommt, ist er ein Willens- und Handlungsorgan
dieses Ausschusses sein könne, läßt sich schwerlich behaupten. Was hätte z. B. im
Wege gestanden, wenn ein solcher Ausschuß schon vor dem Ausbruch des französi-
schen Krieges bestanden hätte, denselben nach Ems einzuberufen oder später nach
Versailles? Im allgemeinen besteht aber auch für den Ausschuß für die auswärtigen
Angelegenheiten die im 8 20 der Geschäftsordnung des Bundesrates ausgesprochene
Regel, daß die Bundesratsausschüsse sich „am Sitze des Bundesrates“ versammeln.
Zustimmend Seydel, Jahrb. S. 296.
1) Vgl. z. B. Protokolle des Bundesrates von 1871, 8 52, 9, 121.
2) Siehe meine Abhandl. im Arch. f. öff. R. Bd. 18, S.3l6fg. v. Jagemann
S. 368; Hänell, S. 317. Beispiele sind die im Bundesrat getroffene Vereinbarung
vom 18. Dez. 1902 über die Einführung einer einheitlichen Rechtschreibung in dem
Schulunterricht und in dem amtlichen Gebrauch der Behörden (Zentralbl. 1902, S. 432)
und die „Grundsätze über Vollstreckung von Freiheitsstrafen“ im Zentralbl. 1885,
S. 270; 1897, S. 308.
3) Der Unterschied solcher „Vereinbarungen“ von den auf Grund der verfassungs-
mäßigen Zuständigkeit gefaßten Bundesratsbeschlüssen ist vom Reichsgericht in den
Entscheid. in Zivils. Bd. 40, S. 68 ff. u. Bd. 48, S. 84 ff. vollkommen verkannt worden.
4) Nicht im Widerspruch hiermit steht die Bestimmung des Art. 9 der Reichs-
verfassung, daß jedes Mitglied des Bundesrates das Recht hat, im Reichstage die
Ansichten seiner Regierung zu vertreten, auch dann, wenn dieselben von der Majori-
tät des Bundesrates nicht adoptiert worden sind. Denn überall, wo zu einem Willens-
akt des Reiches die Zustimmung des Reichstages erforderlich ist, hat die Beschluß-
fassung des Bundesrates über die zu machende Vorlage nur die Bedeutung eines
präparatorischen Aktes.