Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

$ 50. Die formelle Erledigung der Geschäfte des Bundesrates. 279 
den Bestimmung des bayerischen Schlußprotokolls über die Stellver- 
tretung im Vorsitz hat das juristische Wesen des Verhältnisses einen 
richtigen Ausdruck gefunden. 
2. Der Reichskanzler kann sich durch jedes andere Mitglied des 
Bundesrates vermöge schriftlicher Substitution vertreten lassen. 
Reichsverfassung Art. 15, Abs. 2. 
Es ist hierzu weder die Genehmigung des Kaisers erforderlich, 
noch ist eine bestimmte Rangordnung unter den Staaten oder unter 
den Bevollmächtigten in Bezug auf das Vizepräsidium verfassungsmäßig 
vorgeschrieben. Das bayerische Schlußprotokoll vom 23. November 1870, 
Ziff. 9 bestimmt aber: 
»Der königlich preußische Bevollmächtigte erkannte es als 
ein Recht der bayerischen Regierung an, daß ihr Vertreter im 
Falle der Verhinderung Preußens den Vorsitz im Bundes- 
rate führe.« 
Hier ist zuvörderst ausgesprochen, daß der Vorsitz im Bundesrate 
nicht auf dem Amte des Reichskanzlers ruht, sondern ein Recht 
»Preußens« ist, so wie das Vizepräsidium ein Recht Bayerns ist!). 
Demgemäß tritt der Anspruch Bayerns auf den stellvertretenden Vorsitz 
nicht ein im Falle der Verhinderung des Reichskanzlers, sondern im 
Falle der Verhinderung Preußens. Der Reichskanzler kann daher 
einen anderen preußischen Bevollmächtigten sich substituieren, 
aber nicht mit Uebergehung Bayerns den Bevollmächtigten eines 
anderen Staates. 
Sodann aber ergibt sich, daß das Recht Bayerns lediglich auf einer 
Zusicherung Preußens beruht, welchen Gebrauch der Reichskanzler als 
preußischer Bevollmächtigter von seiner Substitutionsbefugnis machen 
werde, während der verfassungsrechtliche Grundsatz selbst, daß der 
Reichskanzler sich durch jedes andere Mitglied des Bundesrates 
vertreten lassen könne, unverändert fortbesteht. Demnach kann der 
Reichskanzler mit Uebergehung der übrigen preußischen Bevollmäch- 
tigten einen bayerischen sich substituieren, und falls die bayerischen 
Bevollmächtigten nicht anwesend oder verhindert sind, den Bevoll- 
mächtigten jedes anderen Staates. 
Endlich ist festzuhalten, daß die Krone Bayern nicht das Vize- 
präsidium des Bundes, welches es nicht gibt, sondern der bayerische 
Bevollmächtigte den stellvertretenden Vorsitz im Bundesrate zu 
beanspruchen hat. 
3. Wenn auf Grund des 82 des Reichsgesetzes vom 17. März 1878 
ein Generalstellvertreter des Reichskanzlers ernannt worden ist, so steht 
demselben auch der Vorsitz und die Geschäftsleitung des Bundesrates 
zu, falls er Mitglied des Bundesrates ist. Indessen ist der Reichskanzler, 
1) Anderer Ansicht Hänel II, S. 25, und Hensela. a. 0. S.24. Vgl. jedoch 
die mit der hier vertretenen Auffassung übereinstimmenden Ausführungen von Meyer 
$ 124, Note 6.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.