8 44. Der Begriff der Reichsbeamten. 437
Verordnung vom 30. Juni 1873 publizierte Verzeichnis der Reichsbe-
amten (Reichsgesetzbl. S. 160 fg.) und die Besoldungsordnung (Reichs-
gesetzbl. 1909 S. 586 fg.) unzweifelhaft, daß auch die Unterbeamten zu
den Reichsbeamten gehören.
Endlich ist zu erwähnen, daß der Staatsbeamte in der Wahrneh-
mung seiner Amtsgeschäfte nicht notwendig seinen wesentlichen
oder gar ausschließlichen Lebensberuf zu haben braucht. Der Ge-
sichtspunkt, daß der Beamte sich regelmäßig dem Staatsdienst berufs-
mäßig widmet, daß er in der Erfüllung seiner dienstlichen Pflichten
seine Lebensaufgabe erblickt, daß das Beamtenrecht demgemäß ein
Berufs- und Standesrecht ist, hat politisch seine hohe Berechtigung
und vielseitige Bedeutung und ist auch juristisch in mehrfacher Hin-
sicht von Wichtigkeit !). Aber wenn es sich darum handelt, einen
rechtswissenschaftlichen, für juristische Deduktionen brauchbaren Be-
eingeräumt wurden, hat die Wirkung, daß man in der Literatur sich vielfach abmühte,
zwischen den „eigentlichen“ Staatsbeamten und dem Hilfspersonal einen begrifflichen
Gegensatz aufzustellen. Vgl. namentlich Heffter, Beiträge S. 113 ff.; ferner Mar-
quardsen in Rottecks Staatslexikon, 3. Aufl. I, S. 483; Bluntschlill, S. 122;
Pözl in Bluntschli und Braters Staatswörterbuch IX, S. 687; Zachariä 8 133 (II,
S. 19); Schulze, Preuß. Staatsrecht I, S. 315 (anders derselbe im deutschen Staats-
recht 1, S. 319); v. Gerber S. 110, Note 11. Maurenbrecher 8 160 sagt: „Sie
sind durchaus als Staatsdiener nicht zu betrachten, obgleich sie dem Namen nach und
der Formen ihrer Anstellung wegen häufig als solche passieren“ (!). Dem bureau-
kratischen Dünkel mochte es nicht behagen, daß der Herr Rat und der Bote unter
dieselbe juristische Begriffskategorie gehören sollten. Aber es ist schon oben S. 432,
Note 1 hervorgehoben, daß nicht die Art der Dienste, sondern die Art des Dienst-
verhältnisses (der Anstellung) für die Eigenschaft eines Beamten entscheidend ist.
Das Reichsbeamtengesetz unterscheidet zwischen oberen und unteren Reichs-
beamten nicht und die Motive vom8. April 1872 (Drucksachen des Reichstages von
1872, Nr. 9, S. 30, 31) erklären sich ausdrücklich gegen eine solche Unterscheidung.
Auch das Reichsgericht, Entscheidungen in Zivilsachen Bd. 6, S. 109 hat aus-
gesprochen, „daß die Natur des Dienstes als Weichensteller oder Bahnwärter dem
Begriffe des Staatsdienstes nicht widerstreite“.
1) Im politischen Kampfe gegen das absolutistische System des persönlichen
Regiments, welches in den Beamten nur fürstliche Zivil- und Militärbediente erblickte,
ist die Anerkennung dieses Grundsatzes errungen worden. Nachdem er in der Lite-
ratur schon öfters angedeutet worden war, insbesondere auch in der verdienstlichen
Abhandlung Heffters in seinen Beiträgen zum deutschen Staatsrecht S. 106 ff.,
fand er eine glänzende und höchst fesselnd geschriebene Darlegung in der trefflichen
Schrift von Perthes, Der Staatsdienst in Preußen (Hamburg 1838), insbesondere
S. 44 ff. Diese mehr politisch als juristisch gehaltene Monographie war von nach-
haltigem Einfluß auf die spätere Literatur. Seitdem kehrt der Satz immer und immer
wieder in allen Erörterungen über den Staatsdienst; auch in solchen, die streng ju-
ristisch gehalten sind, wie z. B. bei v. Gerber $ 36. Mit übermäßigem Pathos ist
dieser Grundsatz betont und als der eigentliche Kernpunkt des ganzen Beamtenbe-
griffes ausgegeben worden von Lorenz Stein, Verwaltungslehre I, 1, S. 207 ff.,
dem hierin Schulze, Preuß. Staatsrecht I, S. 315, 323 ff.. Deutsches Staatsrecht I,
S. 317 ff. sich anschließt. Für das Staatsrecht aber ist zur Zeit nichts dringender
nötig als die Erkenntnis, daß sich eine juristische Deduktion nicht ersetzen läßt durch
historisch-politische, ethische und soziale „Betrachtungen“.