Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

68 8 8. Fortsetzung. Kritik entgegenstehender Ansichten. 
kann aber m. E. das Kriterium für den Gegensatz zwischen Staat und 
Gemeinde nicht gefunden werden. Der von Rosin aufgestellte 
Unterschied paßt überhaupt nur auf den Gegensatz zwischen der Orts- 
gemeinde einerseits und dem Nationalstaat andererseits; er erweist 
sich als unzutreffend für Kreis-, Bezirks- und Provinzialverbände, die 
mit den Ortsgemeinden in einem gemeinsamen Gegensatz zum »Staat« 
stehen, und er ist ebenfalls unzutreffend für Stadtstaaten oder andere 
Kleinstaaten, die wirkliche Staaten sind trotz ihrer vollkommenen Un- 
fähigkeit, die nationalen Aufgaben des Gesamtvolkes zu realisieren. 
Es ist auch nicht zuzugeben, daß die Gemeinden (Kreise, Provinzen) 
wesentlich andere Aufgaben wie die Staaten zu verwirklichen haben; 
nur die Sphäre ist räumlich und sachlich eine beschränktere wie die- 
jenige des Staates, welchem die Gemeinden u. s. w. angehören '). 
Der spezifische Unterschied besteht vielmehr darin, daß jeder Staat, 
auch der kleinste, Herrschaftsrechte hat, dagegen der Kommunal- 
verband nicht, mag er auch noch so groß und bedeutend sein. 
Herrschen ist das Recht, freien Personen (und Ver- 
einigungen von solchen) Handlungen, Unterlassungen und Leistungen 
zu befehlen und sie zur Befolgung derselben zu zwingen. Hierin 
liegt der Kernpunkt für den Gegensatz der Öffentlichen Rechte und 
der Privatrechte. Das Privatrecht kennt eine Herrschaft nur über 
Sachen, zu denen, wie kaum hervorgehoben zu werden braucht, 
auch die Sklaven gehören; freien Personen gegenüber kennt es 
nur Forderungen, welchekein Zwangsrecht gegen den Schuldner 
enthalten und die nicht die Rechtsmacht in sich schließen, ihm etwas 
zu befehlen?) In obligatorischen Verhältnissen sind Gläubiger und 
Schuldner einander gleich geordnet, der Gläubiger hat keine Macht 
über den Schuldner; das Wesen des Hoheitsrechtes dagegen besteht 
seitigkeit des Zweckes ist daher eine contradictio in adjecto; sie ist der Verzicht, 
den Zweck zu präzisieren. Man kann wohl sagen, der Staat habe eine freie Aus- 
wahl hinsichtlich der Zwecke, welche er verfolgen wolle; er sei an keinen Zweck 
ausschließlich gebunden; man hat dadurch aber nur einen anderen Ausdruck ge- 
wonnen für die Souveränität des Staates, welche den Satz einschließt, daß der 
Staat seine Zwecke und demgemäß seine Kompetenz selbst bestimmt. Vgl. meine 
Erörterung im Arch. f. öff. R. Bd. 2, S. 317 fg. Zustimmend Preuß S.79 fg. 
1) Rosin vermag auch nicht anzugeben, welche Aufgaben dem Staate, welche 
der Gemeinde zukommen. Er definiert die ersteren S. 302 als diejenigen Aufgaben, 
die nach der Auffassung des Rechts, d. h. des ausgesprochenen Volksbewußtseins, als 
Aufgaben eines Staates anerkannt werden. Im Volksbewußtsein muß aber der Be- 
griff des Staates schon vorhanden sein, wenn dasselbe eine Aufgabe als „staat- 
liche“ anerkennen soll; der Begriff des Staates muß also durch ein anderes Kıri- 
terium als die ihm zukommenden Aufgaben im Volksbewußtsein hervorgerufen wer- 
den. Vgl. auch Stöber im Archiv I, S. 633; ferner meine Ausführungen ebenda 
II, S. 318 fg. und BorelS. 93 fg. 
2) Vgl. die ausgezeichnete Erörterung von Sohm über den Begriff des Forde- 
rungsrechts in Grünhuts Zeitschrift, Bd. 4, S. 457 ff. und Rosin selbst a: a. O. 
S. 298.
	        
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