$ 61. Der Abschluß von Staatsverträgen. 133
$ 61. Der Abschluß von Staatsverträgen.
l. Die Legitimation zum Abschluß.
Es ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, der sowohl auf dem
Gebiete des Privatrechts wie auf demjenigen des öffentlichen Rechts
Geltung hat, daß der Vertreter eines Rechtssubjekts das letztere nur
insoweit rechtsgültig verpflichten kann, als er innerhalb seiner Ver-
tretungsbefugnis oder Vollmacht handelt. Dies gilt also auch von dem-
jenigen Organ, welches berufen ist, für einen Staat internationale Ver-
träge abzuschließen; dieselben können völkerrechtliche Gültigkeit nur
erlangen, wenn jenes Organ innerhalb seiner verfassungsmäßigen Ver-
tretungsbefugnis gehandelt hat. Wenn demnach eine Verfassung den
Grundsatz aufstellt, daß der Souverän ohne Genehmigung des Land-
tages oder der Präsident ohne Zustimmung einer souveränen (gesetz-
gebenden) Versammlung zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge nicht
befugt ist, so sind Verträge, welche unter Verletzung einer solchen
Vorschrift abgeschlossen sind, null und nichtig und sie erzeugen keinerlei
völkerrechtliche Verpflichtungen. Denn Verfassungsbestimmungen dieser
Art heben die Legitimation des Souveräns oder Präsidiums auf;
sie setzen entweder an die Stelle derselben die Legitimation des gesetz-
gebenden Körpers und beschränken den Souverän oder Präsidenten
auf die Führung der Verhandlungen und Vereinbarung eines Vertrags-
entwurfs, oder sie begründen für den Souverän oder Präsidenten
eine bedingte Legitimation. Die Behauptung, daß ein solcher
Rechtssatz nur innerhalb desjenigen Staates Wirkungen haben
könne, welcher ihn sanktioniert hat, dagegen nicht für den anderen
Staat, mit welchem der Vertrag geschlossen worden ist, ist völlig unhalt-
bar. Denn jeder Kontrahent muß die Legitimation desjenigen, mit
dem er verhandelt, prüfen; er muß die Dispositionsfähigkeit und Stell-
vertretungsbefugnis desselben untersuchen; er muß auf eigene Gefahr
feststellen, daß derselbe die rechtliche Macht hat, das Subjekt, Namens
dessen er handelt, zu vertreten und zu verpflichten; er muß daher
namentlich bei Geschäften mit juristischen Personen sich eine solche
Kenntnis von ihrer Verfassung verschaffen, als erforderlich ist, um
beurteilen zu können, wer zur Vertretung der juristischen Person be-
fugt und legitimiert ist. Ueber diesen Rechtssatz waren seit Hugo
Grotius alle Autoritäten des Völkerrechts einig'), und es ist auch
in der Tat nicht möglich, ihn zu leugnen, ohne mit den Grundbe-
griffen des Rechts und der Logik in Konflikt zu geraten.
Allein eine ganz andere Frage ist die, ob das positive Recht eines
1) Sehr zahlreiche Beläge hierfür erbringt Ernst Meier, Ueber den Abschluß
von Staatsverträgen, Leipzig 1874, S. 91 ff., so daß eine Wiederholung der Zitate hier
entbehrlich scheint. Einige derselben finden sich auch bei Gorius in Hirths An-
nalen 1874, S. 762 ff.