Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

8 54. Der Begriff und die Erfordernisse des Gesetzes. 11 
heitsbeschlüsse der beiden Versammlungen erforderlich und ausrei- 
chend: der Effekt dieser Uebereinstimmung besteht aber zunächst nur 
in der definitiven Herstellung eines Gesetzentwurfes. Um ihn 
zum Gesetz zu erheben, muß noch die Ausstattung desselben mit ver- 
bindlicher Kraft, der Gesetzesbefehl oder die Sanktion, sowie die 
Ausfertigung und Verkündigung hinzukommen !). In dem Verfassungs- 
gesetz f. Els.-Lothr. v. 31. Mai 1911 85 sind die Worte »und ausreichende, 
welche so viele unrichtige Auslegungen und Irrtümer verschuldet haben, 
fortgeblieben. Es heißt hier: »Die Uebereinstimmung des Kaisers und 
beider Kammern ist zu jedem Gesetz erforderlich«. Dies dient zur 
Bestätigung der hier gegebenen Auslegung des Art. 5 der RV. 
4. Da nur diejenige Anordnung eines Rechtssatzes ein Gesetz ist, 
welche rechtsverbindlich ist, so ergibt sich, daß Gesetze nur derjenige 
erlassen kann, welcher befugt ist, die Rechtsordnung zu regeln und 
die Befolgung eines Rechtssatzes anzubefehlen ?). Die Frage, wem diese 
Befugnis zusteht, beantwortet sich nach dem jeweiligen Verfassungs- 
zustande. Daß nur der Souverän oder die »höchste« Staatsgewalt Ge- 
setze zu geben befugt sei, folgt aus dem Begriffe des Gesetzes nicht, 
sondern kann nur aus dem in einem politischen Gemeinwesen ver- 
wirklichten Staatsbegriff sich ergeben. Gesetze im materiellen 
Sinne des Wortes können vielmehr auch von untergeordneten Organen 
auf Grund einer verfassungsmäßigen oder gesetzlichen Ermächtigung 
gegeben werden. Vgl. darüber unter 8 58. Der Begriff des Gesetzes 
umfaßt ferner auch die Autonomie in allen ihren Abstufungen und 
Anwendungen. RBRechtsverbindliche Anordnungen von Rechtssätzen 
seitens der Gemeinden oder anderer öffentlich-rechtlicher Verbände 
oder der Grundherrschaften und anderer nicht souveräner Gewalthaber 
können auch Gesetze im materiellen Sinne des Wortes sein, wenn 
ihnen der Staat eine solche Befugnis delegiert hat. Nur da, wo der 
Staat die Ordnung und Regelung des Rechtszustandes zu seiner Auf- 
gabe gemacht hat, die er selbst und ausschließlich durchführt, so daß 
er allein befugt ist, Rechtssätze wirksam anzuordnen, wird die De- 
finition des Gesetzes alseiner rechtsverbindlichen Anordnung 
eines Rechtssatzes gleichbedeutend mit der Definition des Gesetzes als 
einer vom Staate erlassenen Anordnung eines Rechtssatzes ?). 
Wo der Staat die Ordnung des Rechtszustandes im wesentlichen, 
wenngleich nicht völlig, zu seiner eigenen Aufgabe macht und den 
ihm untergeordneten Verbänden und Einzelpersonen nur in beschränk- 
tem Maße den Erlaß rechtsverbindlicher Anordnungen von Rechts- 
sätzen gestattet, so daß die an Zahl und Bedeutung überwiegende 
Masse aller Gesetze vom Staate ausgeht, entwickelt sich der Sprach- 
1) Vgl. die Ausführungen in dem folgenden Paragraphen. 
2) Duranton, Cours de droit francais I, ch. 2, nro. 29 definiert Gesetz ganz 
richtig als „une regle etablie par une autorite a laquelle on est tenu d’obeir“. 
3) Vgl. v. Gerber, Grundzüge $ 45, Note 1.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.