300 8 70. Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete.
A. Die Gerichtsbehörden für Weiße. Ihre Verfassung
und Zuständigkeit bestimmen sich nach den Vorschriften des Gesetzes
über die Konsulargerichtsbarkeit, also jetzt des Gesetzes vom 7. April
1900 (Reichsgesetzbl. S. 213) und der auf Grund des Schutzgebietsgesetzes
erlassenen kaiserlichen Verordnung v. 9. Nov. 1900, durch welche die Vor-
schriften des Konsulargerichtsgesetzes erheblich abgeändert worden
sind!). Die Militärgerichtsbarkeit ist durch diese Gesetze unberührt ge-
glieben ?).. Ausführungsbestimmungen betreffend die Ausübung der Ge-
richtsbarkeit in den Schutzgebieten Afrikas und der Südsee hat der
Reichskanzler durch Verf. v. 25. Dezember 1900 (Kolonialbl. 1901
Ss. 1 ff.) erlassen ?).
Die Gerichte sind bisher in zwei Instanzen gegliedert. Ein Gesetz-
entwurf, betreffend die Errichtung eines für alle Schutzgebiete (und
Konsulargerichtsbezirke) zuständigen obersten Gerichtshofs in
Berlin, liegt zur Zeit dem Reichstag vor.
1. In erster Instanz entscheidet der Bezirksrichter oder das
Bezirksgericht. Als Bezirksrichter fungiert der vom Reichs-
kanzler zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigte Beamte des
Schutzgebietes,; er kann etatsmäßig nur angestellt werden, wenn er die
Fähigkeit zum Richteramt in einem Bundesstaat erlangt hat‘). Der
Bezirksrichter als Einzelrichter ist zuständig in allen Sachen,
welche durch das Gerichtsverfassungsgesetz, die Zivilprozeßordnung,
die Konkursordnung und das Gesetz über die freiwillige Gerichtsbar-
keit den Amtsgerichten zugewiesen sind’); ferner in denjenigen Straf-
sachen, für welche die Schöffengerichte zuständig sind®. Das Be-
zirksgericht besteht aus dem Bezirksrichter und Beisitzern. Die-
selben werden durch den Bezirksrichter für die Dauer eines Ge-
schäftsjahres aus der Zahl der achtungswürdigen Gerichtseingesessenen
bestellt. Es ist nicht erforderlich, daß sie reichsangehörig sind; sie
sind verpflichtet, der an sie ergehenden Berufung Folge zu leisten und
sie werden bei ihrer ersten Dienstleistung in öffentlicher Sitzung ver-
eidigt ). In den vor das Bezirksgericht gehörenden Sachen steht ihnen
ein unbeschränktes Stimmrecht zu ®). Es sind vier Beisitzer und min-
Bonn 1904; Bauer, Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen (Archiv f. öffentl.
Recht Bd. 19, S. 32 ff., 433 ff); v. Hoffmanna.a.O.
1) Das Schutzgebietsgesetz von 1888, $ 3 ermächtigte bereits den Kaiser, die
Gerichtsverfassung der einzelnen Schutzgebiete durch Verordnung zu bestimmen.
Auf Grund dieser Ermächtigung sind zahlreiche Verordnungen ergangen, welche jetzt
sämtlich durch die Kaiserl. Verordn. vom 9. Nov. 1900 aufgehoben sind.
2) Schutzgebietsgesetz 85.
3) In Kiautschou besteht eine völlig abweichende Gerichtsverfassung. Vgl. den
Erlaß des Reichskanzlers vom 1. Juni 1901 (Anhang XVI zum Marineverordnungsbl.).
4) Schutzgebietsges. 8 2. Kolonialbeamtengesetz & 49.
5) Konsularger.-Ges. $ 7 (RGBl. 1900, S. 214). 6) Verordn. vom 9. Nov. 1900, 8 6.
7) Konsularger.-Ges. 88 12, 13. Daselbst die Eidesformel. Verordn. vom 9. Nov.
1900, 8 8, Abs. 2.
8) Konsularger.-Ges. 8 11, Abs. 1. Verordn. vom 9. Nov. 1900 a. a. O.