8 55. Der Weg der Gesetzgebung nach der Reichsverfassung. 39
Der erste Fall ist der des eigentlichen Druckfehlers;.d.h.
der Gesetzestext ist im Reichsgesetzblatt anders gedruckt, als er in der
Ausfertigung des Gesetzes lautet. In diesem Falle ist die ent-
stellte Wiedergabe des Gesetzes ohne alles Zutun der an der Reichs-
gesetzgebung beteiligten Organe erfolgt; das Druckereiversehen erscheint
der Willenstätigkeit dieser Organe gegenüber als ein Zufall; der Druck-
fehler beruht auf einem Versehen derjenigen Personen, deren sich der
Reichskanzler zu der ihm obliegenden Verkündigung des Gesetzes
bedient (Setzer, Korrektor, Drucker) und für deren Tätigkeit er ver-
antwortlich ist. Der Reichskanzler ist daher unzweifelhaft berechtigt
und verpflichtet, das Druckereiversehen zu berichtigen ; die Druckfehler-
berichtigung ist ein Teil der Verkündigung selbst; sie konstatiert ledig-
lich die Tatsache, wie der richtige Text des Gesetzes lautet.
Unter einen ganz anderen Gesichtspunkt fällt der zweite Fall, daß
nämlich ein Irrtum bereits in die Ausfertigung der Gesetzes-
urkunde sich eingeschlichen hat. Hier liegt kein Druckfehler
vor; das Gesetz ist vielmehr richtig gedruckt, aber unrichtig aus-
gefertigt worden. Der Irrtum ist ein Irrtum des Kaisers in der Er-
klärungshandlung, der dadurch verursacht worden ist, daß ihm ein
unrichtiger Text zur Unterschrift vorgelegt worden ist. In diesem Falle
ist demnach nicht nur der Abdruck im Reiclhsgesetzblatt, sondern zu-
nächst die vom Kaiser ausgefertigte Urschrift des Gesetzes zu berich-
tigen. Da nun der Reichskanzler nicht befugt ist, das Gesetz auszu-
fertigen, so kann er auch nicht befugt sein, an Stelle des vom Kaiser
ausgefertigten Gesetzestextes einen anderen zu setzen und dadurch eine
Funktion auszuüben, welche die Reichsverfassung ausdrücklich dem
Kaiser zuweist. Zur Berichtigung eines Irrtums in der Ausfertigung
eines Gesetzes ist daher eine vom Reichskanzler oder einem zustän-
digen Stellvertreter gegengezeichnete Anordnung des Kaisers erfor-
derlich, welche im Reichsgesetzblatt zu verkündigen ist.
Der dritte und häufigste Fall ist der, daß das Versehen durch die
Beschlußfassung des Reichstages verschuldet ist, daß z. B. ein
Druckfehler sich bereits in der Gesetzesvorlage oder einem anderen
der Beschlußfassung des Reichstages zu Grunde liegenden Aktenstück
findet oder daß infolge von Zusätzen oder Streichungen die Verwei-
sungen, welche aus dem Gesetzentwurf in das Gesetz übernommen
wurden, unzutreffend geworden sind. In diesem Falle ist der fehler-
hafte Text vom Reichstag beschlossen, vom Bundesrat sanktioniert,
im Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik Bd. 12, S. 429 ff.; Lukasa.a.O.
S. 232 fl. Derselbe, Fehler im Gesetzgebungsverfahren, Hannover 1907. Meine
Abhandl. in der Deutschen Juristenzeitung 1903 Sp. 301f. Dambitsch S. 52 ff.
Ueber das neuerdings beobachtete Verfahren vgl. die Erklärung des Staatssekretärs
von Stengelin der Reichstagssitzung vom 14. Mai 1907 (Sten. Ber. S. 1675). Der
von mir entwickelten Ansicht haben sich angeschlossen v. Jagemann S.109; An-
schütz in Meyers Staatsrecht $ 158 Note 14.