Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

& 81. Die Medizinal- und Veterinärpolizei. 275 
wird nach Feststellung ihrer Wirkung von dem Arzte ein Impfschein 
ausgestellt. Verantwortlich für die Vornahme der Impfungen und die 
Beibringung der Impfscheine sind die Eltern, Pflegeeltern und Vor- 
münder, sowie die Vorsteher derjenigen Schulanstalten, deren Zöglinge 
impfpflichtig sind (8 12, 13). Kommen sie trotz erfolgter amtlicher 
Aufforderung diesen Pflichten nicht nach, so werden sie mit Geldstrafe 
oder Haft bestraft ($ 14, 15). Die Aufforderung kann beliebig oft 
wiederholt und der Ungehorsam gegen sie immer von neuem mit 
Strafe belegt werden'). Einen polizeilichen Zwang zur Vornahme der 
Impfung (sogenannte Zwangsimpfung) führt das Reichsgesetz nicht ein; 
es schließt ihn aber auch nicht aus, soweit Jandesgesetzlich der 
Polizeibehörde ein solches Recht durch allgemeine oder spezielle An- 
ordnungen beigelegt ist ?). 
Außer den Impfärzten sind ausschließlich approbierte Aerzte (Ge- 
werbeordnung $ 29) befugt, Impfungen vorzunehmen ($ 8). Wer un- 
befugt Impfungen vornimmt, wird mit Geldstrafe bis zu 150 Mark oder 
mit Haft bis zu 14 Tagen bestraft ($ 16); wer bei Ausführung einer 
Impfung fahrlässig handelt, wird mit Geldstrafe bis zu 500 Mark oder 
mit Gefängnis bis zu 3 Monaten bestraft, sofern nicht nach dem Straf- 
gesetzbuch eine härtere Strafe eintritt (8 17). “ 
b) Den Einzelstaaten ist durch das Reichsgesetz die Pflicht 
auferlegt, Impfbezirke zu bilden, öffentliche Impfärzte zu bestellen, 
welche für die Bewohner des Impfbezirks zu gewissen Zeiten unent- 
geltlich Impfungen vorzunehmen haben, die Erfüllung des Impfzwanges 
durch Listenführung und durch Anwendung der 88 14 und 15 zu kon- 
trollieren und zu erzwingen und eine angemessene Anzahl von Impf- 
instituten zur Beschaffung und Erzeugung von Schutzpockenlymphe 
einzurichten, von denen die Lymphe an die öffentlichen Impfärzte 
unentgeltlich abzugeben ist ($ 7, 9). 
Den Einzelstaaten ist nicht nur die Ausführung des Impfgesetzes 
überlassen, sondern sie haben auch die zur Ausführung erforderlichen 
Bestimmungen zu treffen (8 18, Abs. 2); der Bundesrat hat jedoch die 
Einrichtung der Impfliste ($ 7, Abs. 4), das Formular der Impfscheine 
1) Dies ist in der Praxis jetzt allgemein anerkannt; sehr zahlreiche Urteile sind 
zusammengestellt in Regers Entscheidungen Bd. 11, S. 426 ; 13, S. 191, und be- 
sonders 13, S. 323; 15, S. 89. Vgl. zu $ 14 des Impfgesetzes Herbst in Goltammers 
Archiv für Strafrecht Bd. 40. S. 273 ff. und Seipke, daselbst Bd, 43, S. 89 ff. 
2) Gegen die Zulassung derZwangsimpfung hat sich das Oberlandesgericht 
zu Frankfurt a. M. durch Urteile vom 2. Juli 1890 und 13. Mai 1891 (Reger, Er- 
gänzungsband 1, S. 354 und Bd. 11, S. 426) ausgesprochen, weil der Reichstag den 
die Zwangsimpfung vorschreibenden $ 15 des Entwurfs abgelehnt hat (Stenogr. Be- 
richte 1874, S. 264, 348): Dagegen ist die Zulässigkeit anerkannt für Preußen auf 
Grund des $ 132 des Landesverwaltungsgesetzes vom preuß. Ober-Verwaltun gsgericht 
durch Urteil vom 2. April 1892 (Reger XIII, S. 78). Ferner von. 1895 beiReger 
XV, S. 332; XVI, S. 202. In demselben Sinne äußert sich für Bayern Seydel 
4.2.0. S. 72. Vgl. auch Meyer-Dochow, Verwaltungsrecht $ 77, Note 9.
	        
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