Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

380 8 84. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit. 
all, wo der Staat ein größeres Interesse daran hat, daß das Recht 
verwirklicht wird, d. h. daß die abstrakten Rechtsregeln gleichmäßig 
und unbeeinflußt von anderen Interessen zur Anwendung gebracht 
werden, als daß ein bestimmter materieller Effekt erreicht, eine Maß- 
regel durchgeführt wird, läßt er im Streitfall eine Urteilsfindung 
und zum Zweck derselben ein kontradiktorisches Ver- 
fahren zu’). 
Der staatliche Befehl ist demnach in allen Fällen jeglicher Art 
von Gerichtsbarkeit auf den gleichen und stereotypen Inhalt zurück- 
zuführen: Es solldasjenige geschehen, wasin concreto 
als dem Rechtentsprechend durch Urteil festgestellt 
wordenist. Die Entscheidung im einzelnen Falle gibt die Aus- 
füllung dieser allgemeinen Schablone mit einem konkreten Inhalt ?). 
2. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit beschränkt sich auf 
bürgerlicheRechtsstreitigkeiten undaufStrafsachen’); 
was nicht unter diese beiden Kategorien fällt, ist von ihr ausge- 
schlossen. 
a) In der Reichsgesetzgebung wird der Begriff der bürgerlichen 
Rechtsstreitigkeit nirgends definiert; vielmehr wird in den Mo- 
tiven zum Gerichtsverfassungsgesetz S. 32°) ausdrücklich bemerkt, 
»daß dieser Begrifi keine oder doch nur eine durchaus ungenügende 
Definition leide und daß es unausführbar sei, ihn gemeinsam für alle 
deutschen Staaten zu präzisieren, daß dieser Begriff aber ungeachtet 
seiner Verschiedenheit in den verschiedenen Gebieten des Deutschen 
Reichs überall gesetzlich — sei es im geschriebenen oder ungeschrie- 
benen Rechte — fixiert sei, und daß demnach für die Bestimmung 
einer Sache als bürgerliche Rechisstreitigkeit in erster Linie die Reichs- 
gesetze, in weiterer Linie aber das Landesrecht des einzelnen Staates 
maßgebend sei °). 
Den Gegensatz zur bürgerlichen Rechtsstreitigkeit bildet in 
  
  
1) So z. B. hinsichtlich der Erhebung von Steuern. Das Interesse des Staates 
an dem einzelnen Steuerbetrag tritt zurück hinter dem viel wichtigeren Inter- 
esse an der gerechten, dem Gesetz entsprechenden Veranlagung und der Verhütung 
willkürlicher Ueberbürdungen. Vgl. Entsch. des Reichsgerichts in Zivilsachen X], 
S. 65 ff. 
2) Kisch, Beiträge zur Urteilslehre (1913) S. 24 ff. erklärt sich gegen die An- 
nahme eines Urteilsbefehls, indem er die Rechtswirkung der Urteile unmittelbar aus 
dem Gesetz herleitet. Die Gebote der Rechtsordnung wirken aber abstrakt, hypo- 
thetisch; sie bedürfen zu ihrer Wirksamkeit im einzelnen Falle der Konkretisierung; 
dies geschieht durch das Urteil, sowie durch die Verfügung. Mit dem von Kisch 
geltend gemachten Grunde könnte man auch die Befehlsnatur aller Verfügungen der 
Steuer- und Zollbehörden, der Polizeibehörden usw. bestreiten. 
3) Gerichtsverfassungsgesetz 8 13. 4) Hahn, Materialien S. 47. 
5) Auch die Kommission des Reichstages lehnte es ab, in das Gerichtsverfas- 
sungsgesetz eine Bestimmung aufzunehmen, durch welche der Begriff der bürger- 
lichen Rechtsstreitigkeit definiert würde. Vgl. Protokoll I. Les., S. 469 ff. (Hahn 
S. 672 ff.).
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.