8 84. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit. 38l
der hier in Rede stehenden Beziehung die Streitigkeit des öffent-
lichen Rechts, d. h. die Streitigkeit über ein Rechtsverhältnis, wel-
ches gar nicht oder nicht ausschließlich zur Rechtssphäre der Indi-
viduen gehört, sondern als ein Teil der Öffentlichen Rechtsordnung,
als Ausfluß der staatlichen Hoheitsrechte oder der Regierungs- und Ver-
waltungstätigkeit anzusehen und aus diesem Grunde der Privatdisposition
der berechtigten und verpflichteten Individuen ganz oder teilweise ent-
rückt ist‘. Die Abgrenzung des Privatrechts von dem öffentlichen
Rechte ist die Grundlage für den Gegensatz der bürgerlichen und der
nichtbürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ?. Die Abgrenzung ist nicht
a priori zu finden, sondern sie ist bedingt von dem in dem positiven
Recht festgestellten Umfange und der Art der Geltendmachung der
staatlichen Hoheitsrechte auf den verschiedenen Zweigen der staat-
lichen Tätigkeit. Für einen Teil dieser Tätigkeit hat das Reich
durch seine Gesetze die Normen aufgestellt und die Grenzen bezeichnet,
bis zu denen sich das öffentliche Recht erstreckt; insoweit dient
die Gesamtheit der Reichsgesetzgebung negativ zur Feststellung des Be-
griffes der bürgerlichen Rechtssache; das Reich hat andererseits auch
positiv durch eine sehr umfangreiche Privatrechtsgesetzgebung einen
Kreis von Rechtsverhältnissen fixiert, welche »bürgerlich« sind. Im
übrigen aber ist es den Einzelstaaten und ihrer Gesetzgebung
überlassen, diejenigen Rechtsverhältnisse, welche als öffentliche zu er-
achten und deshalb der Rechtssphäre der Individuen entrückt sind,
zu bestimmen °. Im wesentlichen gehen die verschiedenen Partiku-
larrechte hierbei von gleichmäßigen Grundsätzen aus, die sich aus
der Natur der Sache und aus der Gleichartigkeit der Lebensverhält-
nisse und Staatseinrichtungen ergeben; eine volle Uebereinstimmung
in der Abgrenzung der bürgerlichen Rechtsverhältnisse von denen des
öffentlichen Rechts besteht aber keineswegs '‘).
1) Vgl. das Urteil des Reichsgerichts vom 15. Februar 1881. Entsch. in Zivils.
Bd. 3, S. 410; ferner Bd. 8, S. 347; 19, S. 70; 22, S. 288; 25, S. 330; 33, S. 34, 161,
336, bes. Bd. 57, S. 3850. Zahlreiche andere, die Zulässigkeit des Rechtsweges be-
treffende Entscheidungen sind in den Generalregistern zu den Entscheidungen in
Zivilsachen zusammengestellt. Eine eingehende und beachtenswerte Untersuchung
über den Begriff der bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gibt Hauser, Gerichtsver-
fassung S. 51 ff. und jetzt namentlich Wach, Zivilprozeß I, S. 77—113, wo Gesetz-
gebung und Literatur in sorgfältigster Weise berücksichtigt sind. Vgl. ferner Mans-
feld, Der publizistische Reaktionsanspruch, Braunschweig 1895.
2) Zustimmend Wacha.a. O. S. 86,93 ff. Vgl. jetzt auch Hänell, S. 735
und namentlich Hellwig, Lehrb. I, S. 60 ff.
3) Dies ist die übereinstimmende Ansicht aller Schriftsteller; eine Ausnahme
macht allein Hüppner im Archiv für zivil. Praxis Bd. 69, S. 434 ff., der den ver-
geblichen Versuch unternimmt, den Begriff der bürgerlichen Rechtsstreitigkeit als
einen reichsrechtlichen nachzuweisen.
4) Daß auch in dieser Beziehung das Reichsrecht dem Landesrecht vorgeht, ist
zweifellos und allgemein anerkannt; durch die zahlreichen Gesetze und Gesetzbücher
des Reichs ist daher die Autonomie der Einzelstaaten sehr beschränkt worden.