140 $ 106. Die gesetzliche Wehrpflicht.
diesem Grundsatz ist eine Ausnahme nur anerkannt, wenn ein Ange-
höriger des Deutschen Reiches, der sich seiner Dienstpflicht durch
Auswanderung entzogen hat, in Nordamerika naturalisiert worden
ist und dann nach Deutschland zurückkehrt ; indem Art. 2 des Ver-
trages des Norddeutschen Bundes vom 22. Februar 1868 (Bundesge-
setzbl. S. 228) und der entsprechenden Verträge der nordamerikanischen
Union mit Bayern, Württemberg, Baden und Hessen vom Jahre 1868
bestimmt, daB der zurückkehrende Auswanderer nur wegen solcher
Handlungen, welche er vor seiner Auswanderung verübt hat, zur
Strafe gezogen werden könne !).
Eine erhöhte Strafe tritt ein, nämlich Gefängnis bis zu zwei Jah-
ren, neben welchen auf Geldstrafe bis zu 3000 Mark erkannt werden
kann, wenn ein Wehrpflichtiger nach öffentlicher Bekanntmachung
einer vom Kaiser für die Zeit eines Krieges oder einer Kriegsgefahr
erlassenen besonderen Anordnung in Widerspruch mit derselben aus-
wandert’).
Das Strafverfahren gegen Abwesende, welche sich der Wehrpflicht
entzogen hahen, ist in der Reichsstrafprozeßordnung $ 470 ff. besonders
geregelt worden. Eigentümlich ist demselben, daß die Erhebung der
der Wehrpflichtige sich der Erfüllung dieser Pflicht entzieht. Wer durch seine
Schuld den Eintritt in das Heer verzögert, der rückt dadurch auch den Termin hin-
aus, in dem die Dienstverpflichtung endet. Wer also durch Entfernung aus dem
Reichsgebiet sich dem Dienst entzieht, dessen Dienstpflicht hört erst auf mit dem
Ende derMilitärpflicht (siehe unter II). Dadurch erledigt sich der v. Martitz
a. a. OÖ. angenommene Widerspruch zwischen dem Strafrecht und dem Militärverwal-
tungsrecht. Damit stimmt auch die Praxis überein. Vgl. Rechtsprechung des Reichs-
serichts in Strafsachen Bd. 3, S. 162 und Bd. 4, S. 596; ferner das Urteil bei
Reger Bd. 12, S. 45; Entscheidungen des obersten Landesgerichts in München,
Sammlung von Entscheidungen in Strafsachen II, S. 143, IH,S. 115; Schwarze,
Kommentar zum Reichsstrafgesetzbuch Anmerkung 3 zu $ 140; Olshausen, Note 13
zu $ 140. Uebereinstimmend die preußischen, sächsischen und württembergischen
Ministerialerlasse von 1900 bei Reger, Bd. 20, S. 373fg. Die Verjährung beginnt
jetzt mit dem Zeitpunkt, in welchem der militärpflichtige Deutsche nach $ 26 des
Gesetzes vom 22. Juli 1913 seine Staatsangehörigkeit verliert.
1) Hierdurch sollte die Bestrafung eines durch die Auswanderung etwa ver-
übten Delikts ausgeschlossen werden. Ausdrücklich ist dies erklärt im Protokoll vom
26. Mai 1868, Ziff. II zum bayerischen Vertrage. Für Norddeutschland hat der
Bundeskommissar im Reichstage (Stenogr. Berichte 1868, S.43) den Vertrag in diesem
Sinne interpretiert. Vgl. über diesen Vertrag die Verhandlungen des Reichstages
vom 16. April 1874 (Stenogr. Berichte S. 844ff.) und v. Martitz a.a. O. S. 79 ff.
In der Praxis wird die hier vertretene Ansicht befolgt, vgl. Olshausen, Anm. 10
zu $ 140; ferner die Urteile des Reichsgerichts vom 20. Januar 1896 (Reger Bd. 16,
S. 300) und vom 18. Februar 1897 (Reger Bd. 17, S. 317); nur das Oberlandesgericht
München hat entschieden, daß dieser Vertrag der Vollstreckung einer wegen Wehr-
pflichtverletzung erkannten Strafe im Falle der Rückkehr des Ausgewanderten nicht
entgegenstehe; Reger Bd. 10, S. 601g.
2) Strafgesetzbuch $ 140, Zift. 3. Eine Auswanderung kann in diesen Fällen
immer nurohne Entlassung geschehen, da die Behörden die Entlassungsurkunde
in Widerspruch mit der kaiserlichen Anordnung nicht erteilen dürfen.