$ 114. Der Reichsfiskus. 331
über unabhängigen Subjekts von Vermögensrechten ergibt sich aus der
staatsrechtlichen Natur des Reiches als eines Bundesstaats. Da jeder
Staat ipso iure privatrechtliche Rechtsfähigkeit hat, ohne daß sie ihm
durch ausdrückliche Gesetzesbestimmung beigelegt zu werden braucht,
so kommt die vermögensrechtliche Persönlichkeit auch dem Bundes-
staat von selbst zu. Seitdem das Reich seine politische Tätigkeit ent-
faltet und fortgebildet hat, ist auch in der Gesetzgebung der Reichs-
fiikus positiv anerkannt worden, und die rechtliche Existenz desselben
unterliegt keinem Zweifel ').
Der Reichsfiskus ist identisch mit dem Reich; er bezeichnet
das Reich als Vermögenssubjekt. Daher gibt es nur Einen Reichs-
fiikus. So wie das Reich eine staatsrechtliche Person, d. h. ein ein-
heitliches Subjekt von Hoheitsrechten ist, so ist es auch eine
privatrechtliche Person, d. h. ein einheitliches Subjekt von
Vermögensrechten, unbeschadet der Mannigfaltigkeit von Vorschriften,
nach denen die Verwaltung der verschiedenen Vermögensmassen sich
richtet. Da die einzelnen Vermögensmassen (Fonds) aber teils rech-
nungsmäßig voneinander gesondert werden müssen, um sie ihrem be-
stimmungsmäßigen Zweck zu erhalten, teils die Verwaltung derselben
im engsten Zusammenhange mit der Organisation der einzelnen Res-
sorts geordnet ist, so liegt es nahe, den Fiskus dieser Gliederung ent-
sprechend zu spezialisieren und z.B. einen »Postfiskus« oder »Marine-
fiikus«e aus dem allgemeinen Reichsfiskus herauszuheben. Dieser
Sprachgebrauch findet sich auch in der Reichsgesetzgebung’); er darf
aber nicht dazu verleiten, mehrere selbständige, d.h. als Per-
sonen des Privatrechts konstituierte Spezialfiszi des Reiches anzuneh-
men). Es sind nur Bezeichnungen des einheitlichen Reichs-
fiikus mit Bezug auf einzelne Fonds oder Verwaltungszweige.
Durch die Einheit des Reichsfiskus ist es absolut ausgeschlossen,
daß unter den Spezial-(Ressort-)Fisci Rechtsverhältnisse irgendwelcher
Art bestehen; nur formell, d.h. rechnungsmäßig, können und
müssen die einzelnen Stationen des Fiskus miteinander wie selbstän-
dige Rechtssubjekte verkehren, um die Ordnung und Uebersichtlich-
DIn der Verfassung kommt der Ausdruck „Bundesfiskus“ oder „Reichsfiskus“
nicht vor; es gibt nur „gemeinschaftliche“ Einnahmen und Ausgaben der „Reichs-
kasse“, deren Differenz durch „Beiträge der einzelnen Bundesstaaten“ gedeckt werden
soll. Vgl. Reichsverfassung Art. 70, 73; ferner Art. 38, 39, 49, 53. Auch die Gesetze
aus der Zeit des Norddeutschen Bundes vermeiden anfangs noch den Ausdruck
„Bundesfiskus“ und umschreiben ihn mit Worten wie Bundesmittel, Bundeskosten,
Bundeskasse oder durch Angabe der zu seiner Vertretung befugten Behörde. Vgl.
meine angeführte Abhandlung in Hirths Annalen S. 410. Die Bezeichnung „Bundes-
fiskus“ findet sich zuerst in dem Gesetz vom 1. Juni 1870 über die Flößereiabgaben.
Seit Gründung des Deutschen Reiches dagegen wird der Ausdruck „Reichsfiskus“ in
der Reichsgesetzgebung häufig angewendet..
2) Z. B. Militärpensionsgesetz vom 27. Juni 1871, $ 116.
3) Vgl. Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 2,
S. 393 und Bd. 21, S. 57.