554 $ 180. Die Verwaltung ohne Etatsgesetz.
der Staatsanstalten usw. Recht und Pflicht zur Leistung dieser Aus-
gaben bestehen auch ohne Etatsgesetz, und deshalb kann es nicht
als Verfassungsverletzung angesehen werden, wenn die Regierung diese
Ausgaben leistet, obgleich ein Etatsgesetz nicht verfassungsmäßig zu-
stande gekommen ist. Man kann den Satz auch in der Art formu-
lieren: Ausgaben, welche Bundesrat und Reichstag bei der Festsetzung
des Etats aus rechtlichen Gründen nicht verweigern dürfen, sind von
der Regierung auch in dem Falle, daß die gesetzliche Feststellung des
Reichshaushaltselats unterbleibt, zu leisten.
Eine ausdrückliche Anerkennung hat dieser Grundsatz in der
Reichsgesetzgebung gefunden hinsichtlich der Verpflichtungen, welche
aus der Begebung von Anleihen und Schatzscheinen hervorgehen.
Sämtliche Anleihegesetze sowie die Reichsschuldenordnung enthalten
übereinstimmend den Satz, daß die zur Verzinsung und Tilgung der
Anleihe, sowie zur Einlösung der Schatzanweisungen erforderlichen
Beträge der Reichsschuldenverwaltung aus den bereitesten Einkünften
des Reiches zur Verfallzeit zur Verfügung gestellt werden müssen !).
Diese Vorschrift enthält nicht die Klausel „nach Maßgabe des Reichs-
haushalts-Etatsgesetzes« oder eine gleichbedeutende; sie gilt, gleichviel
ob ein solches Gesetz verkündet worden ist oder nicht; sie schützt
die Gläubiger des Reiches vor der Gefahr, daß die Befriedigung ihrer
Ansprüche von dem alljährlichen Zustandekommen des Etatsgesetzes
abhängig sei.
Allein unter den Ausgaben, die als rechtlich notwendige zu cha-
rakterisieren sind, müssen wieder zwei Arten unterschieden werden;
die einen sind auch der Höhe nach festbestimmte, von der »Bewil-
ligung« des Etatsgesetzes unabhängige; die anderen sind nur dem
Rechtsgrunde nach notwendige, ihrer Höhe nach aber veränderliche.
In betreff der ersteren hat die Aufnahme in das Etatsgesetz gar keine
selbständige Bedeutung; sie gewähren der freien Entschließung
der gesetzgebenden Organe gar keinen Spielraum; sie müssen in den
Etat aufgenommen werden, weil derselbe ein vollständiger Wirt-
schaftsplan ist und eben nicht bloß eine Ermächtigung zur Leistung
von Ausgaben. Hinsichtlich dieser Ausgaben hat daher auch das Feh-
len eines Etatsgesetzes keine Bedeutung; die Regierung trifft keine
andere Verantwortung, mag sie diese Ausgaben mit oder ohne Etats-
gesetz leisten. Sind die Ausgaben dagegen dem Betrage nach verän-
derlich, so enthält die Veranschlagung im Etat das übereinstimmende
Anerkenntnis des Bundesrats und Reichstags, daß die im Budget
ausgeworfene Summe in dem bestimmten Etatsjahre erforderlich
oder angemessen sei, und die Regierung ist, wenn sie die Ausgabe
innerhalb dieser Beträge leistet, von jeder Verantwortung frei. Ist da-
gegen ein Etatsgesetz nicht zustande gekommen, so hat die Regierung
kein solches, sie im voraus deckendes Anerkenntnis; sie hat vielmehr
l) Gesetz vom 27. Januar 1875, S 4.