Anhang I. Biplematische Euthüllnzen. 1009
Paul Cambon) mit mir, die zwischen uns gewechselten Worte vergegen-
wärtige und die Haltung Herrn Poincarés dazunehme, so kommt mir der
Gedanke, der einer Ueberzeugung gleichkommt, daß von allen Mächten
Frankreich die einzige ist, die, um nicht zu sagen, daß sie den Krieg wünscht,
ihn doch ohne großes Bedauern sehen würde. Jedenfalls hat mir nichts
gezeigt, daß Frankreich aktiv dazu beiträgt, in dem Sinne eines Kom-
promisses zu arbeiten. Nun — das Kompromiß — ist der Frieden; jen-
seits des Kompromisses liegt der Krieg.“
3. Ein bedeutungsvoller engl. Kronrat im Juli 1913.
Die „Hamburger Nachrichten“ (8. Nov. 1917 Nr. 571) veröffent-
lichen einen ihnen „von durchaus zuverlässiger Seite“ zugegangenen Bericht
über eine Geheimsitzung einer beschränkten Anzahl von Mitgliedern
des engl. Geheimen Staatsrats (Privy Council), die im Juli 1913 beim
Premierminister Asquith in Downing Street stattgefunden hat. An dieser
Versammlung, der auch der König beiwohnte, nahmen etwa 40 Herren teil,
darunter Churchill, Grey, Kitchener, Lord Lansdowne, Lord Morley. Bei
dieser Beratung hat es sich um die Frage gehandelt, ob England, wenn
es zu einem festländischen Kriege käme, von Anfang an auf der Seite des
Zweibundes gegen Deutschland in den Krieg eingreifen oder ob es zuerst
neutral bleiben und erst nach einiger Zeit sich einmischen sollte. Die zweite
Ansicht, die der herkömmlichen britischen Politik entsprach, wurde von Lord
Morley, Burns und, wie es scheint, anfangs auch von Asquith vertreten.
Die erste Ansicht wurde von Grey und allen Militärs, vor allem aber
von Kitchener befürwortet, da nach ihrer Auffassung Deutschland so mächtig
sei, daß es seine Gegner rasch niederwerfen werde, so daß England mit
einer Vermittlung zu spät käme. So habe Kitchener ausgeführt: „Die
Zeiten sind vorüber, da England sich erlauben konnte, beiseite zu stehen
und die festländischen Mächte ihre Kämpfe allein ausfechten zu lassen.
Wir würden Selbstmord begehen, wenn wir an einem europäischen Krieg
nicht von Anfang an teilnehmen würden. Frankreich ist Deutschland nicht
gewachsen. Ein siegreiches Deutschland wird keinerlei Einmischungen
dulden. Wir könnten Deutschland keinen größeren Dienst leisten, als bei-
seite zu stehen und Frankreich zerschmettern zu lassen. Frankreich wird
aber zerschmettert werden ohne uns. Deutschland wird sich dann nicht mehr
mit lumpigen fünf Milliarden begnügen wie 1870, sondern es wird die
Kolonien und die Flotte Frankreichs verlangen, und dann wird es England
in seiner Gewalt haben."“
Alrls Morley hierauf die Frage stellte, ob es unter diesen Umständen
nicht besser sei, einerseits Deutschland völlige Klarheit darüber zu geben, daß
ein Angriff auf Frankreich England unter allen Umständen an Frankreichs
Seite finden würde, andererseits Frankreich davon zu verständigen, daß
England auf keinen Fall einen Angriffskrieg gegen Deutschland zum Zweck
der Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens dulden würde, habe Grey erwidert,
er habe sich diese Frage selbst schon vorgelegt. England müsse aber unter
allen Umständen freie Hand behalten. Es dürfe sich nicht der Gefahr
aussetzen, auf bestimmte Abmachungen festgenagelt zu werden, wenn die
erhältnisse, aus denen diese Abmachungen hervorgegangen wären, sich
möglicherweise geändert hätten. Es sei ja z. B. immerhin möglich, daß die
deutsche Regierung endlich zur Erkenntnis kommen würde, daß die Be-
herrschung der Meere für England eine Lebensfrage sei, und daß Deutsch-
land seine ehrgeizigen Pläne fallen lasse, die es ja aus Gründen, die den
Anwesenden zur Genüge bekannt seien, niemals würde ausführen können.
Nach der ersten Rede Kitcheners habe sich ein Zwischenfall ereignet,
Europäischer Geschichtskalender. LVIII 64