Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

1. Die Zeiten des ältern deutschen Reiches. 51 
porirten Herzogthum Schlesien war zwar Reichsland. genoss aber 
ganz besondere Freiheiten und Exemtionen. Das eigentliche deut- 
sche Reichsgebiet wurde seit 1512 in zehn Kreise eingetheilt. Zweck 
der Kreisverbindung war Erhaltung des Landfriedens, Vollziehung 
der Reichsschlüsse und Urtheile der Reichsgerichte, Fürsorge für das 
Kriegs- und Münzwesen und manches andere, besonders polizei- 
licher Natur; jeder Kreis hatte seine besondere Kreisverfassung. 
Das deutsche Reich hat nie eine umfassende Kodifikation sei- 
nes gesammten Verfassungsrechtes erhalten. Die Reichsverfassung 
beruhte vielmehr auf dem Reichsherkommen und einzelnen Grund- 
gesetzen!. Als die wichtigsten sind zu nennen: die goldene Bulle 
Kaiser Karl’s IV. in 30 Kapiteln von 1356, der ewige Landfrieden 
Kaiser Maximilian’s vom 7. Aug. 1495, die Wahlkapitulationen der 
Kaiser (capitulatio caesarea perpetua von 1711), die deutschen Re- 
ligionsverträge, Passauer Vertrag von 1552 und Augsburger Re- 
ligionsfrieden von 1555, das westfälische Friedensinstrument von 
1648. 
Seit dem spätern Mittelalter, besonders seit dem westfälischen 
Frieden, konnte kein klar sehender Beurtheiler mehr in Zweifel 
ziehen. dass Deutschland nicht mehr ein einfacher, sondern ein 
zusammengesetzter Staat, civitas composita, ein Staaten- 
staat se1?. Deutschland enthielt so viel Staaten, als es Kurfürsten- 
thümer. Fürstenthümer, Grafschaften, Reichsstädte gab. Jeder die- 
ser Staaten hatte sein eigenes Staatsrecht, seine eigene Verfassung. 
Aber so viele Staaten Deutschland in sich fasste, so war es doch 
immer in seiner Gesammtheit noch ein einheitlicher Staat, indem 
1J. J. Schmauss, corpus juris publicı acad. 2 Bde. Frankfurt und 
Leipzig 1722. A. Michaelis, corpus juris publiei acad. Tübingen 1825. 
G. Emminghaus, corpus juris germ. tam publici, quam privati. Jena 1824. 
2. Aufl. 1844. F.M.Oertel, Die Staatsgrundgesetze des deutschen Reiches, 
zusammengestellt und historisch erklärt. Leipzig 1841, 
2J. J. Moser, von Deutschland und dessen Staatsverfassung überhaupt 
1766. Pütter, inst. $ 23. Das Beste, was hierüber geschrieben ist, befindet sich 
in Pütter’s Beiträgen zum deutschen Staats- und Fürstenrechte 1777. B.I1. 
Nr. II. und III. »Von der Regierungsform des deutschen Reiche«., Mit Klar- 
heit unterscheidet der grosse Reichspublicist hier zum ersten Male den blossen 
Staatenbund vom zusammengesetzten Staatenstaate: »Deutschland ist ein aus 
mehreren Staaten zusammengesetzter Staatskörper, zwar auch nicht, wie die 
Schweiz und die vereinigten Niederlande, blos ein Inbegriff mehrerer verbun- 
denen unabhängigen Staaten, sondern ein Reich, das aus mehreren besondern, 
jedoch einer gemeinsamen höhern Gewalt noch untergeordneten Staaten be- 
stehet«. Clemens Perthes, de sententiis juris publici peritorum, quas habue- 
rint de imperii germanici forma et statu. Bonnae 1844. 
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