Full text: Das Völkerrecht.

$10. Erwerb und Verlust von Staatsgebiet. 101 
Es mag unter Umständen schwer sein, im Einzelfalle fest- 
zustellen, ob die durch das Prinzip der Effektivität geforderte tat- 
sächliche Herrschaft wirklich vorhanden ist. Und gerade, wenn 
es sich um die Erschließung bisher unzivilisierter Gebiete handelt, 
werden die Anforderungen nicht zu hoch gespannt werden dürfen. 
Es genügt, wenn die vorhandene Herrschaft ausreicht, um im all- 
gemeinen das Gebiet gegen äußere Angriffe zu verteidigen und 
Ruhe und Ordnung im Innern zu sichern. 
Die bloße Entdeckung eines bisher unbekannten Gebietes oder 
die symbolische Besitzergreifung (durch Hissen der Flagge usw.) 
genügt nicht, um die Gebietshoheit zu begründen. Die Beherrschung 
eines Küstenstriches bewirkt nicht Herrschaft über das ganze 
Hinterland (angebliches Prinzip der contiguiteE), Beherrschung der 
Strommündung nicht Herrschaft über das gesamte Stromgebiet. 
Andererseits erfordert der Begriff der Okkupation nicht die wirt- 
schaftliche Erschließung des Landes (agrarische Kolonisation). Die 
Kongoakte vom 26. Februar 1885 hat den oben aufgestellten Satz, 
der längst in der Staatenübung allgemeine Anerkennung gefunden 
hatte, in Art. 35 in folgender Fassung ausgedrückt: „Die Signatär- 
mächte der gegenwärtigen Akte anerkennen die Verpflichtung, in 
den von ihnen an den Küsten des afrikanischen Kontinents be- 
setzten Gebieten das Vorhandensein einer Obrigkeit zu sichern, 
welche hinreicht, um erworbene Rechte und, gegebenenfalls, die 
Handels- und Durchgangsfreiheit unter den Bedingungen, welche 
für letztere vereinbart worden, zu schützen.‘® 
2. Dureh die Kongoakte ist ferner als Bedingung für rechts- 
wirksame Erwerbungen die Mitteilung an die übrigen Mächte (Noti- 
fikation) aufgestellt worden (Prinzip der „‚„Publizität‘‘). 
Artikel 34 der Kongoakte bestimmt: „Diejenige Macht, welche 
in Zukunft von einem Gebiete an der Küste des afrikanischen 
Festlandes, welches außerhalb ihrer gegenwärtigen Besitzungen liegt, 
Besitz, ergreift, oder welche, bisher ohne dergleichen Besitzungen, 
solche erwerben sollte, desgleichen auch die Macht, welche dort 
  
8) Vergl. Engelhardt, R.J. XVII 438.
	        
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