Full text: Das Völkerrecht.

114 II. Buch. Der völkerrechtliche Verkehr der Staaten im allgemeinen. 
Staate selbst zu. Es ist völkerrechtlich durchaus gleichgültig, ob 
nach dem die Staatsverfassung beherrschenden Grundgedanken die 
Gesamtheit der Staatsbürger, also das Volk selbst, Träger der souve- 
ränen Staatsgewalt ist, oder ob diese dem Monarchen allein oder 
ob sie ihm und dem Volke zugeschrieben wird. Maßgebend ist 
lediglich die Beantwortung der Frage, ob und eventuell unter 
welchen Voraussetzungen und Einschränkungen das Staatshaupt die 
völkerrechtliche Vertretungsbefugnis besitzt. Über diese Frage ent- 
scheidet allein die Staatsverfassung. Sie kann auch in der Re- 
publik dem Präsidenten dieselbe Vertretungsbefugnis einräumen, die 
das Staatshaupt einer unbeschränkten Monarchie „von Gottes Gnaden“ 
für sich in Anspruch nimmt. Es ist daher falsch, wenn die herr- 
schende völkerrechtliche Lehre ohne Rücksicht auf die konkrete 
Verfassung den Präsidenten eines Freistaates ohne weiteres anders 
behandeln will als den Beherrscher eines monarchischen Staats- 
wesens. Der Präsident der französischen Republik besitzt die Ver- 
tretungsbefugnis, während sie dem Präsidenten der schweizerischen 
Eidgenossenschaft nicht eingeräumt ist. 
Die Frage wird von besonderer Wichtigkeit für die zusammen- 
gesetzten Staatsgebilde Der deutsche Kaiser ist gewiß nicht In- 
haber der Souveränität des Deutschen Reiches; wohl aber hat er 
nach $ 11 der Reichsverfassung (siehe oben $ 6 II 3) die oberste 
völkerrechtliche Vertretungsbefugnis. 
2. Die tatsächliche Leitung des völkerreehtliehen Verkehrs liegt 
in den Händen des Auswärtigen Amtes. 
Der an dessen Spitze stehende Minister oder Staatssekretär 
der Auswärtigen Angelegenheiten (im Deutschen Reich der Reichs- 
kanzler) gilt nach außen hin, kraft seiner Stellung, auch ohne be- 
sondere Vollmacht, als der unmittelbar Beauftragte des Staats- 
hauptes, mithin als Vertreter der Staatsgewalt. Seine Erklärungen 
binden den von ihm vertreienen Staat. Doch bedürfen die von 
ihm vereinbarten Verträge in der Regel noch der förmlichen Ge- 
nehmigung des Staatshauptes, der sogenannten Ratifikation (darüber 
unten $ 21 IN).
	        
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