81. Begriff und Einteilung des Völkerrechts. 3
zu fördern. So entsteht und entwickelt sich die Erkenntnis, daß
es Lebensinteressen, Güter der Menschen gibt, deren Träger nicht
der einzelne Staat, sondern eine Gesamtheit von Staaten ist.
In dieser Gemeinschaft der Kultur und der Interessen wurzelt
die Überzeugung, daß die Beziehungen der Staaten untereinander
durch verbindliche Normen geregelt werden. Diese Normen bilden
das Völkerrecht.
Durch die Selbstbindung des Staatenwillens entstanden, be-
deuten diese Normen zunächst die gegenseitige Anerkennung (des
von ihnen umschriebenen Machtkreises jedes einzelnen Rechts-
genossen (die auf dem Prinzip der Gleichberechtigung beruhenden
„Grundrechte“ der Staaten). Sie ermöglichen und fordern zu-
gleich die Erschließung des Landes, den Austausch der mate-
riellen wie der geistigen Güter, die Gleichstellung des Staats-
fremden mit dem Staatsbürger. Und weit darüber hinausgehend
vereinigen sie in unseren Tagen die Willensmacht der einzelnen
Glieder der Rechtsgemeinschaft zur gemeinsamen Verfolgung
gemeinsamer Interessen (die „internationalen Verwaltungs-
gemeinschaften“).
Der Staat, der die Normen des Völkerrechts als für sich ver-
bindlich anerkennt und zugleich die Bürgschaft für ihre Befolgung
bietet, kann die Aufnahme in die Völkerrechtsgemeinschaft bean-
spruchen. Diese aber entscheidet allein darüber, ob jene Voraus-
setzungen gegeben sind.
Dem geschichtlichen Ursprung nach ist das Völkerrecht das
Recht der „christlich europäischen“ Staaten. Und noch heute
pflegt man von dem „europäischen Konzert‘ zu sprechen. Aber
längst hat die Völkerrechtsgemeinschaft sich ausgedehnt über
Europa hinaus. Zunächst sind es die Vereinigten Staaten Nord-
amerikas gewesen, die 1783 in die Gemeinschaft eintraten. In
den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts folgten die selbständig
gewordenen Staaten Süd- und Mittelamerikas. Heute umfaßt sie
nicht nur die über die ganze bewohnte Erde ausgedehnten Schutz-
herrschaften und Kolonien der europäischen Mächte, sondern auch
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