821. Die völkerrechtlichen Verträge. 179
ansprucht werden können, solange jene Vortheile auch allen anderen
dritten Staaten vorenthalten werden.“
IV. Die Aufhebung der Verträge erfolgt nach den bekannten, der
allgemeinen Reehtslehre angehörigen Grundsätzen.
Nur einzelne Punkte bedürfen der Erörterung.
1. Verträge, die im Hinbliek auf einen bestimmten rechtlichen
Zustand und unter Voraussetzung seiner Fortdauer geschlossen sind,
können einseitig gekündigt werden, wenn dieser Zustand sich wesent-
sich geändert hat (elausula „‚rebus sic stantibus‘*).
Die Behauptung, daß alle völkerrechtlichen Verträge mit der
stillschweigenden Klausel geschlossen werden, daß sie bei Änderung
der Sachlage gekündigt werden können, ist in dieser Allgemeinheit
zweifellos unrichtig; durch diese Behauptung würde das Völker-
recht in seinen Grundlagen verneint. Der wechselnde Lauf der
geschichtlichen Ereignisse würde wohl in jedem einzelnen Falle
eine Verschiebung der Verhältnisse nachweisbar machen und damit
die Vertragstreue, ohne die das Völkerrecht nicht bestehen kann,
in das Belieben der vertragschließenden Staaten stellen.
Jedenfalls dürfen Verträge, die auf eine bestimmte Zeit ge-
schlossen worden sind (etwa Handelsverträge mit zehnjähriger
Gültigkeit), mangels einer besondern Vereinbarung nicht vor Ablauf
dieser Frist einseitig gekündigt werden. Die Kündigung wäre ein
Rechtsbruch, der den Vertragsgegner zur Anwendung von Gegen-
maßregeln, in letzter Linie zur Kriegserklärung, berechtigen würde.
Auch bei Verträgen, die auf unbestimmte Zeit, vielleicht
sogar „auf ewige Zeiten‘ geschlossen worden sind, ist keiner der
vertragschließenden Teile, von besonderer Vereinbarung abgesehen,
zur einseitigen Kündigung berechtigt. Als Rußland während des
deutsch-französischen Krieges sich von der ihm lästigen Neutrali-
sierung des Schwarzen Meeres einseitig lossagte, erklärten die auf
der Liondoner Konferenz versammelten Mächte ein solches Vorgehen
ausdrücklich für völkerrechtswidrig (unten $ 26 II 2).
7) Schraut, System der Handelsverträge und der Meistbegünstigung.
1884. Melle in H.H. III 204.
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