85. Die Staaten als Rechtssubjekte des Völkerrechts. 41
II. Staat im Sinne des Völkerrechts ist die selbstherrliehe Gebieta-
körperschaft; d. h. die auf einem bestimmten Geblete angesiedelte,
durch eine selbständige und unabhängige Herrschergewalt zusammen-
gofaßte, menschliche Gemeinschaft. Zum Begriff des Staates gehören
mithin drei Merkmale: 1. die Staatsgewalt; 2. das Btaatsgeblet; 3. das
Staatsvolk.
Staaten sind daher nicht:
1. Nomadisierende Stämme. Die mit ihnen geschlossenen
Verträge können völkerrechtlich nicht als Rechtstitel für derivativen
Erwerb, sondern nur als Beweismittel für tatsächliche Besitzergrei-
fung (unten $ 10) in Betracht kommen.
2. Die von einzelnen oder von privaten Gesellschaften aus-
gehenden kolonisatorischen Unternehmungen.
Jedoch ist zu bemerken:
a) Diese Unternehmungen werden zu selbständigen Staaten in
dem Augenblick, in dem sich in ihnen die drei Merkmale
des Staatsbegriffes vereinigen, in dem sie also auf einem
abgegrenzten Gebiete die Ordnung im Innern und den Schutz
nach außen zu gewährleisten vermögen. Von diesem Augen-
blick ab können sie als Subjekte des Völkerrechtes in die
Staatengemeinschaft eintreten, daher auch die Hoheitsrechte
weiter übertragen. Dabei mag wohl im Einzelfall die Be-
stimmung des Zeitpunktes Schwierigkeiten bieten, in dem
der geschichtliche Entwicklungsprozeß der Staatsbildung zum
Abschluß gelangt, der nasciturus zum selbständigen Lebe-
wesen geworden ist.
b) Es ist möglich, daß der Staat in einem ihm bereits er-
worbenen Gebiet einzelnen oder Privatgesellschaften die
Ausübung von Hoheitsrechten, insbesondere das Recht
der Kriegführung, in seinem Namen widerruflich überläßt.
Dann sind und bleiben diese Gebiete aber Teile des
Mutterlandes und werden nach außen hin durch dieses
vertreten.